: Die Armee, kindgerecht
Claude Lanzmanns „Tsahal“ (Forum) ist eine Hommage an die israelische Armee. Itzhak Rabin verließ vorzeitig die Premiere, die Kritiken sind hart: der Film sei naiv, apologetisch und habe mit Israels Realität nichts zu tun ■ Von Tom Segev
Am 7. Dezember machten sich führende Repräsentanten des Staates Israel auf den Weg in die Premiere von Claude Lanzmanns neuem Film „Tsahal“ (Hebräisch für die israelische Armee). Fünf zähe Stunden erwarteten sie: aus dem Auto oder dem Flugzeug gefilmte Bilder, zu Monologen aus dem Off. Hauptsächlich gesprochen wird von den drei geschwätzigsten Generälen, die die israelische Armee jemals hatte: Avigdor Kahalani, Avigdor Ben Gal und Jossi Ben Hannan. Auch Ehoud Barak, bis vor kurzem Generalstabschef, erweist sich in diesem Film als äußerst schwatzhaft.
Lassen wir die Filmkritik einmal beiseite; die erscheint anderswo. Halten wir uns an den politischen Charakter eines Films, der vom Staat gefördert wurde und der geradezu nach einer öffentlichen Debatte ruft.
Lanzmann hat versucht, eine jüdische Idylle zu zeigen; das Resultat ist mehr oder weniger grotesk. Zu Beginn hört und sieht man jede Menge Panzer. General Isräl Tal (Gründer der israelischen Panzereinheit) prahlt mit seinen Vehikeln wie ein Autohändler (japanische Marken sind die meistverkauften in Israel). In einer Szene hat man den Eindruck, Tal habe Lanzmann endlich überzeugt, so ein Ding für den Privatgebrauch zu erwerben... Lanzmann läßt sich vom Charme eines kräftigen blonden Soldaten verführen. Das ist das Bild der Armee, wie sie hier dargestellt wird: schön, blond, intellektuell, aschkenasisch. Die Leute, die befragt werden, hören nicht auf, vom Holocaust zu sprechen.
Lanzmann stützt sich auf den Jom-Kippur-Krieg von 1973: dem jüdischen Volk oktroyiert, war er fast so etwas wie ein „zweiter Holocaust“. General Matan Vilnaä beschreibt Israel als ein kleines Land, das von Feinden umgeben ist, die seine Vernichtung planen und dessen Existenz in Gefahr ist. Und er warnt: Wehe uns, wenn wir die besetzten Gebiete zurückgeben. Hoffen wir, daß der General heute, in seiner neuen Aufgabe als Stellvertreter des Generalstabschefs, über aktuellere Informationen verfügt.
In „Tsahal“ gibt es keine Nuklearwaffen. Die israelische Rüstungsindustrie ist ausschließlich auf Selbstverteidigung ausgerichtet. Kein Wort über Waffenexporte an Diktaturen der Dritten Welt. In dieser Armee gibt es keine Soldaten, die die Araber hassen oder (von ihren Offizieren) schikaniert werden. Es gibt keine Streitigkeiten zwischen den Generälen. Ariel Scharon ist ein älterer Schäfer, pausbäckig, großmütig und leicht philosophisch gestimmt: Die Massaker von Sabra und Shattila werden mit keinem Wort erwähnt. Der Libanonkrieg hat zweifellos niemals stattgefunden, die israelischen Bomber haben keine Dörfer bombardiert. In „Tsahal“ gibt es auch keine Kriegsdienstverweigerer.
Das Besondere an der israelischen Armee, was jedenfalls die Zeit nach dem Sechs-Tage-Krieg angeht, ist, daß sie über mehr als eine Million Bürger herrscht – die Palästinenser in den besetzten Gebieten. Tsahal, die Armee, ist dort Legislative, Judikative und Exekutive zugleich. Aber in Lanzmanns Film sieht man nur einen sehr korrekten Vertrag mit der palästinensischen Bevölkerung: Es gibt keine Demütigung, keine Mißhandlung. Niemand wird im Morgengrauen aus dem Bett geholt, und niemand wird gezwungen, stundenlang auf dem Dorfplatz in der Kälte zu stehen.
Tsahal jagt niemanden, Tsahal verwüstet keine Wohnungen. In diesem Militärapparat – der hier „zivile Verwaltung“ der besetzten Gebiete, dort „Militärtribunal“ genannt wird – gibt es nicht die geringste Korruption und keinerlei Willkür. Es gibt keine Gefangenenlager. Die Soldaten, die ihren Dienst in den besetzten Gebieten versehen, achten genauestens darauf, Warnschüsse abzugeben.
Lanzmann hat zweifellos Gerüchte gehört, was geschieht, wenn „leichter physischer Druck“ auf eines Terroraktes Verdächtige ausgeübt wird. Avigdor Feldmann (bekannt als der Hauptverteidiger in Prozessen gegen Palästinenser) vertritt die, gelinde gesagt, merkwürdige Auffassung, daß die Art und Weise, in der hier gefoltert wird, tief in der überlegenen Ethik der Israelis verankert ist. In diesem Sinne rühmt auch der Generalleutnant der Reserve, Shlomo Gazit, den Mut von Moshe Landoä, der erhebliche Mühe hatte, dem Shabbak (Sicherheitsdienst) zu erklären, wann man das Recht hat, jemanden zu foltern und wie. Es gibt nicht eine Zeugenaussage von jemandem, der diesen „leichten körperlichen Druck“ erfahren hat.
In diesem Film gibt es übrigens auch nicht ein wirkliches Gespräch mit Palästinensern. Eine wahrhaft ehrenrührige Szene zeigt Lanzmann, in Begleitung eines Militärgouverneurs, wahrscheinlich im Gaza-Streifen, wie er mit einigen palästinensischen Arbeitern spricht. Einer von ihnen ist Vater von zehn Kindern. Lanzmann will wissen, warum er so viele Kinder hat. Warum er keine Präservative benutzt. Lanzmann wirkt wie ein Besucher im Zoo, der einem Tier folgt, das in seinem Käfig auf und ab läuft. Wenn es unter den vielen Oscars einen Preis für schlechten Geschmack gäbe, Lanzmann verdiente ihn allein für diese Szene; dabei steht uns die warme Umarmung von General Uri Ariel noch bevor.
Es gibt zwar ein Interview mit David Grossman und einen kurzen Auftritt von Amos Oz (zwei Schriftsteller, die sich für den Friedensvertrag und die Rechte der Palästinenser eingesetzt haben), aber Lanzmann brauchte auch einen philosophischen Soldaten. Leider hat er nur den besagten ehemaligen Generalstabschef Ehoud Barak gefunden. Der gibt in gebrochenem Englisch alle nur vorstellbaren Klischees von sich, sowie einige pseudohistorische Gedanken von unglaublich peinlicher Prätention.
Das Ganze erinnert an Filme, wie man sie in Israel in den sechziger Jahren machte. In der Sowjetunion machte man sie noch in den Achtzigern: Sie zeigten besonders gern den Chor der Roten Armee.
Aus dem Französischen von Mariam Niroumand
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