: Hooligans und Neonazis
Das „Freundschaftsspiel“ zwischen Irland und England an der Dublin Lansdowne Road wurde nach Krawallen im englischen Block abgebrochen ■ Von Ralf Sotscheck
Berlin (taz) – Jack Charlton starrte den Reporter des irischen Fernsehens ungläubig an. Dann grinste er und sagte: „Ihre Frage kann nur als Witz gemeint sein.“ Der Reporter hatte ihn gefragt, wie er sich fühle, nachdem das Freundschaftsspiel zwischen Irland und England im Dubliner Rugbystadion an der Lansdowne Road wegen Ausschreitungen der englischen Fans nach 28 Minuten abgebrochen werden mußte. Es hatte 30 Verletzte gegeben, ein Journalist hatte einen Schädelbruch erlitten, und ein 60jähriger Ire war vor Aufregung an einem Herzinfarkt gestorben.
Auslöser für die Krawalle war das irische Führungstor durch David Kelly in der 22. Minute gewesen. Danach begannen etwa hundert englische Zuschauer, ihren Block auf der oberen Westseite des Stadions zu demontieren. Bänke und Plastiksitzschalen flogen auf das Spielfeld und in den unteren Block, der ebenfalls für die Fans aus England reserviert worden war. Als der niederländische Schiedsrichter Dennis Jol kurz darauf ein englisches Tor wegen deutlicher Abseitsstellung nicht anerkannte, gab es kein Halten mehr. Die irischen Fans in den benachbarten Blocks suchten schleunigst das Weite, und auch die Spieler mußten sich in Sicherheit bringen, als ein ganzes Arsenal von Gegenständen auf das Spielfeld niederging. David Platt, der Kapitän der englischen Mannschaft, versuchte vergeblich, die Situation zu beruhigen – er wurde selbst mit Wurfgeschossen eingedeckt.
Noch nie zuvor mußte ein Fußballspiel in Irland oder Großbritannien wegen Zuschauerausschreitungen abgebrochen werden. Es kann nun geschehen, daß England die Ausrichtung der Europameisterschaft im nächsten Jahr abgeben muß. „Wir haben nicht das Recht, Ausländer zu Fußballspielen in unser Land einzuladen, wenn sie dabei der Gefahr ausgesetzt werden, beleidigt, schwer verletzt oder gar getötet zu werden“, schrieb der Guardian gestern. Die UEFA, die keinen offiziellen Beobachter entsandt hatte, will die Berichte beider Fußballverbände abwarten, bevor man eine Entscheidung trifft.
Graham Kelly, der Präsident des englischen Fußballverbands, versuchte nach dem Spiel, den Schaden zu begrenzen. Er sagte, daß der irische Verband für die Sicherheitsvorkehrungen verantwortlich gewesen sei. Der hatte tausend Ordner eingestellt, und das Polizeiaufgebot war sechsmal so stark wie bei anderen Länderspielen. Als die Tumulte im englischen Block ausbrachen, zogen sich die Beamten jedoch fluchtartig zurück und warteten ab, bis Verstärkung in Kampfanzügen eintraf. Zwei Stunden nach Abbruch des Spiels trieb man die englischen Zuschauer mit Schlagstöcken in Sonderbusse, die sie direkt zum Hafen brachten. Die meisten mußten ihre Habseligkeiten im Hotel zurücklassen.
Die Schlägereien wurden von Neonazis der National Front und der British National Party angezettelt, die seit Jahren versuchen, die Fußball-Fanclubs zu unterwandern, wie in einer Dokumentation des britischen Fernsehens nachgewiesen wurde. Dabei kam auch heraus, daß diese Organisationen enge Verbindungen zu den loyalistischen Paramilitärs in Nordirland geknüpft haben.
Vorgestern zogen sie in militärischer Formation mit Hitler-Gruß zum Stadion. Die irische Nationalhymne ging in Sprechchören aus dem englischen Block unter: „Fuck the IRA!“ Platt sagte, daß der englische Fußball nun wieder dort angelangt sei, wo er sich vor zehn Jahren befand. Im Mai 1985 starben im Brüsseler Heysel-Stadion 39 Fußballfans aus Turin, nachdem Liverpool-Anhänger randaliert hatten. Danach waren englische Teams fünf Jahre lang von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen.
„Wieder einmal hat eine kleine Minderheit der Mehrheit den Spaß verdorben“, sagte Platt. Offenbar war ihm entgangen, daß sich nach Ausbruch der Tumulte fast der gesamte englische Block an den Ausschreitungen beteiligte. Scotland Yard hatte die Kollegen von der Garda Siochana, der irischen „Friedenswacht“, gewarnt, daß etwa hundert aktenkundige Randalierer auf dem Weg nach Dublin seien. Vierzig davon wurden im walisischen Hafen von Holyhead verhaftet. Der englische Verband muß sich nun fragen lassen, wie sie in den Besitz der Eintrittskarten gelangt sind. Die Tickets wurden ausschließlich durch die offiziellen Fanclubs verteilt. Von den 4.000 Karten, die der irische Verband zur Verfügung gestellt hatte, wurde nur die Hälfte verkauft.
„Wer auch immer ihnen Tickets gegeben hat, war äußerst töricht“, sagte der Torschütze David Kelly, der vor dem Spiel fünfzig Pfund darauf gesetzt hatte, daß er ein Tor schießen würde. Nachdem ihm das gelungen war, wäre er fast von einem Stuhlbein getroffen worden. Charlton, der mit der englischen Mannschaft 1966 Weltmeister geworden war, wurde von den englischen Fans als „Judas“ beschimpft und bespuckt. Persönlich überwältigte er einen irischen Fan, der eine Flasche in den englischen Block zurückwerfen wollte. Englands Torschützenkönig Alan Shearer meinte: „Wenn das jedesmal passiert, wenn wir 1:0 zurückliegen, dann gute Nacht.“
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