Schlichtes Tagwerk

■ Ein hochberühmter Physiker auf Bergtour: „Transatlantis“ von Christian Wagner (Wettbewerb)

Die Plakate für „Transatlantis“ kleben schon, aber wem wird er gefallen, der neue Film von Christian Wagner? Er ist nämlich, mit Verlaub gesagt, in seiner grabesernsten Gedankenschwere ein zutiefst deutscher Film, und das ist nicht unbedingt als Kompliment gemeint.

Neuffer, ein hochberühmter Physiker, fährt zum Klassentreffen ins heimatliche Allgäu, wo seine Mutter eine Pension führt. Dieselbe wird nicht gerade von Gästen überrannt, und Neuffer gerät in vollkommen unelegante Verhältnisse, sprich die große Welt gerät in die kleine. Geist kontra Natur, Zeit für eine gewisse Besinnung. Auf dem Weg zum Ruhm hat Neuffer nicht nur das deutsche Wort für „investigation“, sondern, so scheint's, auch die Großmächtigkeit von Mutter Erde vergessen.

Der Wissenschaftler begibt sich auf eine Bergtour, wobei er unterwegs das schlichte Tagwerk des einheimischen Bergvolks bestaunt. Als Neuffer in die Pension zurückkehrt, peng, ist die Mutter tot. Voller Wehmut drängt ihm ins Gemüt, daß er nicht oft zuhause war – Spurensuche auf dem Dachboden, alte Truhe etc., logo.

Der Pole Daniel Olbrychski gibt den Physiker eine Spur zu unverbindlich — vielleicht liegt das ja daran, daß die Intentionen des Regisseurs womöglich in Richtung eines besonders — jawohl, doppeltgemoppelt! — kontemplativen Buddhismus gingen. Der Dualismus von einfach physischer und vergeistigter Existenz wird einem allerorten demonstriert. Anfangs steht Neuffer am neuesten Apple Mac oder IBM; später, in den Bergen, sitzt er an einem Uraltmodell von Schreibmaschine. Er will flugs ein paar neue Dachschindeln für Mutters Pension; allein auf der Alm hastet man nicht so, belehrt ihn der eingeborene Dachdecker und geht ins Wirtshaus. Unwägbarkeiten in Form eines vermißten Großvaters und eines mysteriösen Toten in der Seilbahn werden dem Ganzen hinzugefügt, ein jungenhaftes Naturmädel namens Nele springt — Nachtigall, ick hör dir trapsen — bedeutungsträchtig ins Bild, und fertig ist die profunde Sinnkrise im Leben des etablierten Physikers Neuffer. Dazu großartige Gipfelpanoramen, weite Täler sowie die Metapher vom sagenumwobenen Atlantis, das — wer hätte es gedacht — vielleicht in den Bergen liegt. Bester Satz: „Schweigen ist Intelligenz“ oder so ähnlich.

Die Kollegen sind in Scharen aus dem Film gelaufen, und etliche haben herzhaft aufgelacht, wo Mimik, Text und Musik eigentlich auf philosophische Tiefe hinwiesen. Aber vielleicht habe ich nur nicht verstanden, daß „Transatlantis“ ein ganz besonders komischer Film sein sollte. In diesem Fall möchte ich mich für meine Blindheit entschuldigen. Nicht entschuldigen werde ich mich für meinen Mißmut darüber, daß so ein Film im Wettbewerb läuft, wo doch, nur als Beispiel, ein neuer, wirklich guter Lopuschanskij (Forum) zur Verfügung stand. Anke Westphal

„Transatlantis“. Regie: Christian Wagner. Deutschland 1994, 116 Minuten