„Nicht dümmer als die anderen“

Die hessische FDP will bei den Landtagswahlen endlich einmal nicht verlieren  ■ Von Heide Platen

Wenn es um die Bundespolitik geht, heißt der bekannteste FDP- Landespolitiker aus Hessen Wolfgang Gerhardt. Der strebt, schon einmal versehentlich und durch einen Agenturfehler für Minuten zum Bildungsminister in Bonn aufgestiegen, nach höheren Ämtern, genauer: auf den Sessel des Parteivorsitzenden Klaus Kinkel. Das sei, meint der FDP-Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter Michael Denzin, ein böswilliges Gerücht, an dem „ganz ehrlich“ aber auch „gar nichts dran“ sei. Die Spitzenkandidatin der Freien Demokraten für die Landtagswahl am kommenden Sonntag mußte sich dennoch immer wieder aus den Schatten der internen Querelen der Partei an das Licht der Öffentlichkeit hangeln. Auch sie hatte es in der Vergangenheit nicht leicht mit der eigenen Partei, die ihr vor vier Jahren den Posten der Landtagsvizepräsidentin verwehrte. Nun soll die Kultur- und Schulpolitikerin Ruth Wagner die Partei vor der zehnten Niederlage in Folge bei Landtags- und Europawahlen bewahren.

Eigentlich fällt sie schon auf mit ihren konservativen Kostümjacken, der kräftigen Figur, den energischen Schritten, den Lachfältchen und dem kurzen blondbraunen Haarschopf. Wagner wirkt kompetent, praktisch und durchsetzungsfähig. Sie selbst sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung allerdings, sie finde sich auf den mit kessen Sprüchen garnierten Wahlplakaten „viel zu flott“, „das Mütterliche“ ihres Charakters komme nicht recht zur Geltung. Der langjährige Landtagsberichterstatter des Blattes bescheinigte ihr jedoch noch ein paar andere Eigenschaften. Sie könne, schrieb er, bei kontroversen Landtagsdebatten „schon mal schrill und giftig werden“. Die Hobbymalerin hilft ihrer Partei sonst vor allem bei heiklen, emotionsgeladenen Themen mit wohlüberlegten Reden aus der Verlegenheit, die sie eigenwillig und belesen literarisch anreichert. Und manches Bonmot bringt auch die GegnerInnen zum Lachen: „Nach diesen vier Jahren wissen wir, es gibt noch Schlimmeres als ein rot-grünes Chaos: eine rot- grüne Ordnung, die länger als vier Jahre dauert.“

7.000 Mitglieder hat die Partei in Hessen. 7,4 Prozent, das sind ungefähr 240.000 HessInnen, haben ihr 1991 die Stimme gegeben. Bei den Bundestagswahlen 1994 holte sie in Hessen 8,1 Prozent der Zweitstimmen. Auch diesmal ist Hessen Hoffnung für die von der Wählerungunst gebeutelte Partei. Meinungsforscher prognostizierten bis zu über 7 Prozent. Nur das von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beauftragte Ipos-Institut in Mannheim sah mit 3,6 Prozent schwarz für die Blaugelben. Das, mutmaßten Grüne, könne aber auch eine Mobilisierung der FDP-Parteibasis durch die Hintertür bewirken. Denzin findet „diese 3,6 einfach unseriös“.

Denzin ist selbst Kandidat. In einem Wahlprospekt heißt es über ihn: „Er ist dem Sport, der Literatur und dem Wein verbunden.“ Er hat eine ganz eigene Wahlkampfmethode entdeckt, die in Neudeutsch durchaus Direktmarketing heißen könnte. Er geht unangemeldet in die Wirtshäuser, redet mit den Leuten, zettelt Diskussionen an, statt mit einer Handvoll Mitglieder „im Hinterzimmer zu verschwinden“. Auch die aus Amerika übernommenen Nachbarschaftsparties „kommen ganz prima“. Sein Mitarbeiter Jürgen Funk ist außerdem begeistert von den Sympathisanten-Treffen und Wählerinitiativen der Nichtparteimitglieder. Daß die FDP in der letzten Zeit wieder einen Zulauf „von jungen Leuten hat“, erinnert ihn an die „Aufbruchstimmung Anfang der siebziger Jahre“. Er entdeckt gerade wieder „neuen Schwung“. Im Gegensatz zu Kirchen und Gewerkschaften wachse die kleine Partei: „Die jungen Leute haben die Null-Bock-Phase überwunden.“

Die hessische Zitterpartie bringe parteiintern auch „Kribbeln und eine Riesenspannung“. Vor allem die Parteibasis sei „hoch motiviert und von unglaublich guter Laune“: „Das ist schon fast zu euphorisch.“ Zu den Schnupperrunden für Nichtmitglieder, erzählt Funk, kommen ganz unterschiedliche Leute, „die mithelfen wollen“ – vom Zivildienstleistenden bis zum Arbeitslosen. Beide entsprechen weder dem Klischee des FDP-Politikers in Mausgrau mit Krawatte und mittelständischem Unternehmer-Bauch noch deren technokratisch-smarten Nachfolgern. Sie haben auf die heute Zwanzigjährigen gesetzt und verweisen dabei auf eine verjüngte KandidatInnenliste. Politische Gehversuche der studentischen Liberalen Hochschulgruppe in Frankfurt scheiterten im Vorfeld. Ihr wurde in der Universität ein Raum verweigert, als sie dort mit dem jungdynamischen FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle ausgerechnet über „liberale Tradition“ diskutieren wollte. Für Wahlkampfveranstaltungen gebe es, so der demokratische Nachhilfeunterricht von Uni-Präsident Meißner, „grundsätzlich“ keinen Raum.

Im Wahlkampf hat sich die FDP auf Veranstaltungen konzentriert, die klein, aber fein sein sollen. Die sechzehn Großveranstaltungen sind aus den Metropolen auf ländliche Regionen verlegt worden. Da tingelte Bundeswirtschaftsminister Rexrodt in Heppenheim, bekommt Genscher Standing ovations in Niedernhausen, und die Idsteiner feierten Klaus Kinkel. Während andere Parteien großflächig Personen plakatierten, ist das bei der FDP nur in der letzten Phase vorgesehen. Da strahlt Ruth Wagner unter dem handwerklich- mittelständischen Slogan „Tapeten-Wechsel“, daneben reihen sich grün auf rotem Grund die Symbole Stempel, Paragraph und, ganz sinnig, Eichel. Das soll zu viel Staat, zu viel rot-grünes Reglement signalisieren. Der Aufkleber ist die Gebrauchsanweisung dagegen: „Zweitstimme F.D.P. – Und der Wechsel gelingt“. Vorab warb die FDP mit Plakaten, auf denen gelbe und blaue Krokusse aus dem harschen Schnee sprießen. Die blauen Blumen sind der Druckerei statt frühlingshaft und botanisch korrekt ins Violette fehlfarbig in die eher kornblumenblaue Parteifarbe geraten.

Denzin wird fast philosophisch, wenn er über Anspruchsdenken und Wohlstandsgesellschaft sinniert: „Wir haben uns sehr verengt.“ Über die Dritte Welt, Hunger, Leid und Elend rede hier „kaum noch jemand“: „Wir diskutieren nur immer über unser eigenes Wohlbefinden. „Luxusstandards zum Beispiel bei Wohnungs- und Straßenbau seien die Regel, die „unheimlichen Schätze der Eigeninitiative ungehoben. Und Funk trieb es „zur Weißglut“, als seine Elterninitiative für einen Kindergarten fast an der obligatorischen „Toilettenfrage“ scheiterte. Der Frankfurter FDP-Vorsitzende Zimmermann hatte sich im Vorfeld dafür ausgesprochen, beim Sparen für den „schlanken Staat“ beim erhofften Regierungswechsel in den eigenen Reihen anzufangen. Er wollte das von der CDU vorgestellte zehnköpfige Schattenkabinett auf sieben Ministerien reduziert sehen.

Daß vor allem die Grünen im Revier der FDP-Klientel wildern, ärgert nicht nur die Spitzenkandidatin. Denzin findet die Konkurrenzpartei mittlerweile viel zu angepaßt: „Die pennen vor sich hin.“ Wolfgang Gerhardt rechnete mit den Parteien auf seine Weise ab, nannte die SPD einen veralteten, nur umverteilenden „Betriebsrat der Nation“ von Bedenkenträgern und Gleichmachern, nahm auch die CDU von Kritik nicht aus und versuchte sich in der negativen Bestimmung: „Wir sind weder die feinere CDU für seltene Kirchgänger noch die volkswirtschaftlich gebildete SPD, noch die Grünen ohne Nato-Austritt.“ Freiheits- und Bürgerrechte, Individualität. Industrie, Wirtschaft, Bildung, Verkehrspolitik, so der Tenor, werden in Hessen von notorischen Bremsern mit obrigkeitsstaatlichen Methoden gegängelt. Gerhardt empfiehlt sich in seinen Überlegungen zur Landtagswahl am Ende fast selbstironisch: „Wir sind nicht klüger als die anderen, aber auch nicht dümmer.“

Wer den von der FDP propagierten Regierungswechsel mit dem bis in die Parteibasis der Christdemokraten hinein mit gemischten Gefühlen erwarteten CDU-Rechtsaußen Kanther als Ministerpräsident wolle, müsse, so die Wahlkampfstrategie, das liberale „Korrektiv“ mit der Zweitstimme gleich mitwählen. Das wird potentielle CDU-Wähler kaum überzeugen, auch wenn alle KandidatInnen immer wieder beteuern, daß es seit den Anfängen der Liberalen stets ihre Politik gewesen sei, „die Großen zur Mitte hin“ zu bewegen. Die Protagonisten des Wunschpartners aber denken gar nicht daran, ihr Wahlvolk zur Abgabe von Leihstimmen zu animieren, und werben, wie auf Bundesebene auch, aggressiv um beide Wählerstimmen.

Vorsichtshalber hat Michael Denzin der Basis ein kleines Handbuch für den Wahlkampf geschrieben, in dem er zuerst einmal und unterstrichen feststellt, daß Veranstaltungen ziel-, zeit- und situationsbezogen sein sollen und der Planung bedürfen. Daß Werbemittel auch Glücksache sind, wird auf der Rückseite der eigentlich ganz pfiffigen kleinen „roten Karte“ für die Landesregierung augenfällig. In den Umrissen des Bundeslandes Hessen wabbelt ein gelber Klecks, der so aussieht wie das, was Hühner unter sich fallen lassen, wenn sie gerade kein Ei legen.