Jelzin sucht die effektive Armee

■ Im Parlament verbannt Rußlands Präsident Tschetschenien an das Ende der Tagesordnung

Moskau (dpa/taz) – Boris Jelzins Urteil über den Krieg in Tschetschenien ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Die Souveränität und Integrität Rußlands mußte mit Gewalt gesichert werden.“ Daß es dabei zu großen Verlusten gekommen ist, liege daran, „daß unser Staat auf eine wirksame Gewaltanwendung nicht vorbereitet war“. Daher, so der Präsident bei seiner rund einstündigen Rede vor beiden Kammern des Parlaments weiter, gehe es nun in erster Linie darum, das Funktionieren des russischen Staates und der Armee zu verbessern. Erst dann könne man Ruhe und Frieden in Tschetschenien wieder herstellen.

Die „niedrige Effizienz“ des Staates war das Hauptthema der lange erwarteten Ansprache des russischen Präsidenten im Marmorsaal des Kreml. Zweimal war sie wegen des Tschetschenien-Krieges verschoben worden, nun wollte Jelzin an seine erste Parlamentsansprache von vor einem Jahr anknüpfen. Damals, so der Präsident einleitend, „mußten wir eine Grundlage für die Zusammenarbeit ausfindig machen. Jetzt kann man sagen, wir haben das geschafft. Die russische Gesellschaft hat nicht den Weg des politischen Extremismus eingeschlagen.“ Termingerecht könnten die für 1995 und 1996 geplanten Wahlen zu Parlament und Präsidentenamt durchgeführt werden. Viel mehr Positives wußte er dann jedoch nicht zu sagen. Der Gesetzgebungsprozeß sei zurückgeblieben, bei der Bekämpfung der Kriminalität sei man nicht vorangekommen, die günstige Wirtschaftslage des Sommers 1994 sei nicht genutzt worden.

Die Schwerpunkte der Rede Jezins sind klar. Über eine halbe Stunde äußerte er sich zu den Problemen des Reformprozesses, erst danach kam er zum Tschetschenien-Krieg. Ihm und den dabei deutlich gewordenen Mängeln der russischen Armee widmete er rund zehn Minuten. Den Abschluß bildeten Ausführungen zur Lage Rußlands in der Welt: Das Land sei zu einem „mächtigen Faktor der Stabilität geworden“. Gemeinsame Aufgabe Rußlands und Europas sei die Schaffung eines Sicherheitsmechanismus des 21. Jahrhunderts, eine Ausweitung der Nato nach Osten würde dagegen die Menschheit ins 19. Jahrhundert zurückwerfen.

Eine Aussprache über die Ansprache fand nicht statt. Das hatte Jelzin sich verbeten. Tatsächlich fielen die auf den Wandelgängen geäußerten Beurteilungen vernichtend aus. So bezeichnete der Präsident der russischen Republik Tschuwaschien, Nikolai Fjodorow, die Rede als „völlig sinnlos“. Und Reformer Gregori Jawlinski meinte, sie sei nur eine Absichtserklärung gewesen. „Erst danach kommt das wirkliche Leben.“ Viele der Mitglieder seiner Fraktion Jabloko waren erst gar nicht im Kreml erschienen. her Seiten 3 und 10