Amsel

■ Fanny Müller:

Zu meiner ersten Untermieterin Petra ist gestern eine zweite dazugekommen: Amsel (Vorname nicht bekannt). Ich stand auf meinem Balkon und knotete gerade Paketband an die Bohnenstangen, um sie zu verlängern – die Stangen reichen nämlich nicht bis zur Wäscheleine hoch, an der die Bohnen dann entlangranken sollen. Amsel stand jedenfalls mit durchgedrückten Knien auf dem Balkongeländer, hatte ziemlich viele Fusseln im Schnabel und fixierte mich mit einem Blick, den man für gewöhnlich hinter einer gezogenen Pistole erwartet. Ich begab mich schleunigst in meine Küche zurück. Sie wartete noch einen Moment und segelte dann in meinen Knöterich hinein, wo es auf der Stelle ein entsetzliches Gefludder und Getöse gab. Die Blätter flogen nach allen Seiten. So geht also Fauna mit Flora um! Ich hatte mich schon gewundert, warum sich auf dem Balkon so viele getrocknete Grashalme herumwälzen. Von Aufräumen ist natürlich nicht die Rede. Den Knöterich habe ich übrigens an einer Art Wandgeländer befestigt, mit so Clips, mit denen ich normalerweise die Gefrierbeutel zumache. Aber ob der ein Nest mit einer ziemlich dicken Amsel trägt? Ich hab ihn jetzt noch mal mit Klebeband an die Wand genagelt, was Petra nicht gut findet, weil da so Dämpfe aufsteigen, die den Vogelnachwuchs vergiften. Und wenn schon! Direkt unter dem Nest befindet sich meine Clematis, die ich gerade mit Ach und Krach über den Winter gebracht habe. Und die wird mir die Blase garantiert zuscheißen. Nach meinen Informationen hängen Jungvögel ihren Hintern über den Nestrand, wenn sie mal müssen. Vielleicht bastel ich doch noch eine Vogeltoilette, ich hab auch schon so meine Vorstellungen. Mir schwebt da eine Kombination von alter Untertasse und Blumendraht vor. Petra grinst den ganzen Tag und meint, ich solle den Halter für das Klopapier nicht vergessen. Die kann mich ja auch mal. Ich mach das schon. Im Handwerklichen bin ich Gott sei Dank ziemlich auf dem qui vive.