Noch dazu im Osten

■ Beneidenswert irre: „LAbendig“ von Hannes Schönemann (Forum)

Hier soll mal eine Nonne labendig eingegraben worden sein, weil sie sich wohl einen kleinen Liebhaber, weil sie sich wohl einen kleinen Liebhaber...“ Rudi Brehmer zeigt uns nicht nur die entsprechende Grabstelle, er spielt uns ein ganzes Leben vor. Und das findet im mecklenburgischen Kloster Dobbertin statt, einer – so sagt man wohl – psychatrischen Anstalt. Nun denkt jeder: Oh Gott, ein Dokumentarfilm über eine Irrenanstalt, noch dazu im Osten, traurig traurig. Weit gefehlt. Rudi hat Hannes Schönemanns „LAbendig“ nicht nur den Titel gegeben. Er und seine Mitbewohner, Freunde, spielen uns ihr Leben vor. Und das ist schön.

Das mag provozieren. Irre möchte man schließlich bemitleiden, nicht beneiden. Schönemann und sein Kameramann und Co- Autor Thomas Plenert haben ihr Drehbuch dreimal revidiert, immer wieder neu begonnen, bis sie merkten, daß die Menschen, um die es ihnen geht, nichts lieber tun, als vor der Kamera zu schauspielern. Aus dem Dokfilm wurde ein Dokumentarspielfilm.

Wir sehen prakatisch keine Pfleger, keine Spritzen auf der Geschlossenen, keine Depressionen, keine „Patienten auf Station“. All das wird ausgeblendet — was manchem fragwürdig vorkommen mag — die bewußte Aussparung dieses Teils der Psychatrierealität aber schafft Luft für Rudi, Elfi, Günter, Egon, um Kofferradios zu erklären, sich zu küssen, eifersüchtig zu sein, ganz viele Zigaretten zu rauchen und Badezimmeramaturen zu installieren und dabei einen Systemvergleich vorzunehmen. Kritisch werden neue, westlich blitzende Chromteile in der Werkstatt den blau-weißen Plastewasserhähnen gegenübergestellt: „DDR-Sachen waren auch gut, die haben auch gehalten.“

Rudi läßt sich genüßlich von Egon rasieren, der ihn dann auch noch, fast zärtlich, abtrocknet. Wir sehen häßliche Kacheln, aber fühlen uns wie in einem Pariser Friseursalon. Laut Schönemann wurden manche Szenen vorgeplant, entwickelten sich dann oft ganz anders, vieles entstand aber auch zufällig. Trotzdem macht „LAbendig“ den Zuschauer nicht zum Voyeur, die Dobbertiner sind Individuen wie andere normale Menschen. Sie haben alle Szenen des Films autorisiert und waren begeistert, als sie ihn sahen. Das ist leider alles nicht selbstverständlich. Andreas Becker

LAbendig, Deutschland 1994, 87 min, Regie: Hannes Schönemann. 19.2. Urania 15.30 (leider nur für Akkreditierte)