: Der Name des Eco
■ Ein neuer Roman mehrt den Ruhm des Bestsellerautors - und die Spekulationen über seine Identität
Bereits 1987 gab Hans Magnus Enzensberger in seiner Besprechung von Umberto Ecos „Lector in fabula“ im Spiegel zu bedenken: „Einen solch kurzen Namen gibt es nirgendwo auf der Welt!“ Um dann gut gelaunt anzudeuten, er klinge eher nach einer Zahl oder einem Kürzel. Sein Wink wurde als bloße Frotzelei überlesen. Dabei war Enzensberger offenbar einmal mehr blendend informiert.
Eigentlich hätte der Name Eco schon früher Grund zum Grübeln sein können, zum einen seines Anklangs an das allgegenwärtige „ecco“ wegen (ital: „sieh da“; „ecco mi“: „da bin ich“), zum anderen wegen seiner mythologischen Bedeutung: Nach der in Ovids „Metamorphosen“ kolportierten Version wurde die Nymphe namens Echo von Hera derart der Sprache beraubt, daß sie nurmehr die letzten Worte eines anderen wiederholen konnte. Doch da wurde nicht nachgehakt. Zu überzeugend erfüllte der Pfeife rauchende Professor mit der Zweistärkenbrille und dem Pfeffer-und-Salz-Bart die Rolle des jovialen Superhirns. Anfang der sechziger Jahre veröffentlichte er Jahr um Jahr schwerstakademische Werke; „Die Zeit der Zeichen“ und „Das offene Geheimnis“ wurden Klassiker der Semiotik beziehungsweise der philosophischen Ästhetik.
Solchermaßen in der Fachwelt etabliert, belieferte er als blitzgescheiter Kolumnist die in- und ausländische Presse. Er firmiert als Herausgeber etlicher wissenschaftlicher Zeitschriften und Buchreihen. Über mehrere Jahre lief mit großem Erfolg seine monatliche Fernsehvorlesung „Letteratura appassionata“. Er unterrichtet an mehreren Universitäten Europas und beider Amerikas.
Eco hat seine akademische Laufbahn als Professor für virtuelle Kommunikation in Venedig begonnen. Später versicherten sich allein in Italien fünf weitere Hochschulen der Mitarbeit des Sprachgenies, das heute nebenbei noch einen Lehrstuhl am MIT in Boston und einen – als erster Weißer – an der Howard University in Washington innehat.
Auch an deutschen Universitäten sind seine Gastspiele keine Seltenheit. Sinnlos, sie alle aufzählen zu wollen, von einem frühen, noch wenig beachteten Engagement in Konstanz 1971, wo er einen Lehrauftrag für Architektursemiotik wahrnahm, über den in der Fachwelt legendären Auftritt beim großen Münchner Kongreß „Fälschungen im Mittelalter“ (1986) bis zur feierlichen Verleihung des Ehrendoktors der Fernuniversität Hagen im Jahre 1988. Seine Verpflichtungen als korrespondierendes Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften nimmt er ebenso unermüdlich wahr wie die Schirmherrschaft des jährlichen Antipodenfestivals in Wellington. Als Präsident des ILEU, des Bundes Esperantistischer Hochschullehrer, macht er sich weltweit für sein linguistisches Hobby stark. Als jedoch 1991 gemeldet wurde, der Staatskanzler San Marinos habe ihn nun auch noch zum Dekan der dortigen Universität berufen (die taz berichtete), glaubten viele an eine Ente. Doch die Information stimmte, ebendort war Europas jüngste Universität gegründet worden, und natürlich durfte Eco dabei nicht fehlen.
Mit Größen des öffentlichen Lebens wie Agnelli, Feltrinelli und auch Tomba, heißt es, pflege er regen Kontakt. Trotzdem findet der Vater zweier Kinder noch Zeit, um von Krakau bis Lissabon auf die Jagd nach bibliophilen Schätzen zu gehen – vorzugsweise alchimistischen Folianten –, so daß Italo Calvino ihn einmal „den freudigen Schrecken der Antiquare“ nannte.
Seit der „Name der Rose“ (in deutscher Übersetzung 1982) erschienen ist, legt er auch noch in regelmäßigen Abständen pfundschwere literarische Bestseller vor. 1989 ließ er seinem Welterfolg das „Foucaultsche Pendel“ folgen, und nun wird die deutsche Fassung der „Insel des vorigen Tages“ mit Spannung erwartet.
Und all das soll vom Zeitkonto eines einzigen Menschen bestritten werden? Ist Eco eine multiple Persönlichkeit? Wen wundert's, daß gelegentlich kolportiert wurde, er sei an zwei Orten gleichzeitig gesehen worden. Dennoch keimte nur vereinzelt Verdacht an seiner „auktorialen Authentizität“ (Eco) auf – und das bei einem, der schon vor einem Vierteljahrhundert schrieb: „Texte haben keinen Autor, allenfalls Autoren.“ Damals sah man in dieser Äußerung ein strukturalistisches Bonmot, keine verschmitzte Selbstironie.
Nach Erscheinen des „Foucaultschen Pendels“ brachte Le Monde ein Gespräch mit Eco („Foucault n'est pas Foucault“), in dem Josyane Savigneau dem Großschriftsteller diesbezüglich auf den Zahn fühlte. „Eco ist doch nicht ihr echtes Pseudonym?“ fragte sie spitzfindig. Doch er replizierte seelenruhig, sagte nein und damit unumwunden ja, er schriebe in der Tat unter anderem Namen. Seine wissenschaftliche Integrität zu wahren, habe er einst eine Reihe astrologischer Kompendien sowie eine umfangreiche Studie über die Einflüsse des Sirius als „Romano di Romani“ publiziert. Womit der Vorstoß pariert war und sein Werkverzeichnis abermals verlängert.
Schon ist sein vierter Roman angekündigt: „I magazini del Vaticano“, die Geschichte des letzten Gefangenen des Kirchenstaates, eines Renegaten des Opus Dei, der dort 1947 als beinahe Hundertjähriger starb. Hierzulande erscheint jetzt erst einmal der dritte Schmöker: „Die Insel des vorigen Tages“.
Erzählt wird von einem piemontesischen Adligen, Roberto, der in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges heranwächst. Während der Belagerung Casales weihen ihn geistliche Lehrer, die ihm, wie stets bei Eco, in pädagogischem Eros zugetan sind, in die Mysterien der Wissenschaften ein. In Paris wird er verleumdet, so daß Mazzarin ihn zu einer Spionagemission ans Ende der Welt erpressen kann. Er soll der englischen Gegenseite das Geheimnis der Meridiane entreißen, um das Problem der Zeitverschiebung zu lösen.
Er erleidet Schiffbruch. Auf einem Brett treibend, rettet er sich schließlich auf ein verlassenes Schiff. Es ankert in Sichtweite einer Insel, die ihm aber wenig nützt, weil er nicht schwimmen kann. Er erkennt, daß die „Daphne“ just an der Datumsgrenze liegt, so daß auf der Insel, nur eine Meile entfernt, eine andere Zeit gilt, was sie zur „Insel des vorigen Tages“ macht. Roberto schreibt Liebesbriefe an eine ferne Dame und grübelt, wer ihn ins Unglück stürzte. Schon lange hat er Ferrante in Verdacht, einen mysteriösen Doppelgänger, ein Alter Eco. Vorübergehend erhält er Gesellschaft, einen teutschen Pater, der sich auf der „Daphne“ versteckt. Doch bald taucht dieser unter und überläßt Roberto dem Kampf gegen die Paranoia. Als er die Lösung all seiner Fragen gefunden zu haben glaubt, stürzt er sich in die Zeit.
Anläßlich der italienischen Premiere der „Insel“ schalt Gustav Seibt in der FAZ („Chronik eines angekündigten Bestsellers“) die zügellosen Medien. „Das Presse- Echo: Sie reden wie ein Buch und haben's noch gar nicht gelesen.“ Da wußte er noch nicht, daß wenige Monate später der Zirkus um Eco erst richtig losgehen sollte. Der wäre noch spektakulärer ausgefallen, hätte nicht am vergangenen Mittwoch, als das betreffende TV- Feature bei Rete4 gesendet wurde, Lamberto Dini auf RAI1 seine korrigierte Kabinettsliste verlesen. Das Staatsfernsehen verzeichnete kurzfristig exorbitante Einschaltquoten, während die sonst weit populäreren Privatsender partiell ins Leere übertrugen.
Angefangen hatte alles mit einer Reportage des Hochglanzmagazins Airone, das in seiner Weihnachtsausgabe über eine archäologische Expedition in Eritrea berichtete. Nach zwanzigjährigem Grabungsverbot dürfen ausländische Wissenschaftler dort wieder forschen, und zur einstigen Besatzungsmacht Italien bestehen noch gute Kontakte.
Das Team kartographierte Felsengräber über dem Roten Meer, wo es auch kabbalistische Handschriften fand. In dem Bericht amüsiert sich Grabungsleiter Professor Temesvar, gebürtiger Albaner, über die „Koinzidenz“, daß die Zahl drei in jenen Schriftrollen durchweg die Bezeichnung „eco“ trug. „Eco, genau wie unser beliebtester Schriftsteller!“ Der übrigens neben ihm, Milo Temesvar, 1950 als einziger an der Universität von Turin das Dante-Alighieri-Graduiertenstipendium erhalten habe. Dort promovierte Eco, so steht es in den Akten, summa cum laude über die „Ästhetik bei Macchiavelli“.
Durch Temesvars saloppe Marginalie stutzig geworden, recherchierte Roberta Badano, telegene Kulturchefin bei Rete4, einen Monat lang in Turin. Ende der Achtziger war sie selber Dante-Stipendiatin gewesen und daher mit der Geschichte dieser erst 1956 gegründeten Institution vertraut. Sie führte nicht weniger als 62 Interviews mit früheren Kommilitonen Ecos und durchforstete die alten Studienbücher. Das Ergebnis war eine kleine Sensation. Nicht etwa, weil sie belegen konnte, daß Temesvar nie in Turin studiert hatte und sich offenbar nur wichtig machen wollte. Sondern weil Badano nichts Geringeres behaupten konnte, als Europas bestgehütetes Pseudonym geknackt zu haben.
Drei Freunde, so Badano, hätten sich zu Beginn der fünfziger Jahre zusammengetan, weil ihre Qualitäten sich ebenso vortrefflich ergänzten wie ihre Handicaps: Emilio Passarelli, ein penibler, aber eher phantasieloser und frauenscheuer Philosophiestudent, Carlo Scuro, der schon damals brillante, doch fürchterlich stotternde Redakteur der Studentenzeitung, und Orlando Papadia, ein begriffsstutziger manischer Schauspieler, der es leid war, sich an der Opera populare als Komparse verdingen zu müssen. Sie hätten den Künstlernamen ersonnen: Umberto aus Begeisterung über den Helden von Nabakovs „Lolita“ und Eco, weil sie damit neben den genannten Assoziationen die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen verbanden. Auf Drängen Emilios, den der Gedanke an brennende Bibliotheken stets erregte, sei als Geburtsort das piemontesische Städtchen Alessandria gewählt worden – das prompt Eingang in die Literaturlexika fand.
Seither bildeten sie ein Team. Emilio, Hauptautor der semiotischen Werke, liefere durch seine Bibliotheksorgien das Material für die Romane, was in den lehrhaft- historisierenden Passagen besonders erkennbar werde. Carlo – Hauptautor der leichtfüßigen Glossen – kürze Emilios Exzerpte auf fünf Prozent herunter, gebe der Story den populären Schwung, achte aber darauf, durch dosierte Geistesblitze die Kritik ruhigzustellen.
Orlando, so Badano weiter, identifiziere sich seinem ursprünglichen Beruf gemäß vollkommen mit der Figur, gehe souverän mit Journalisten um und halte mit Verve die Vorlesungen, die Emilio und, nachgeordnet, auch Carlo erarbeiten. Er sei es auch, der auf seinen Reisen mit den reichlich erhaltenen Vorschüssen die Antiquariate ausräume, um seine Beute zu Emilio zu schleppen, der diese seltenen Quellen wiederum für Carlo aufbereite – und so weiter. Ein Perpetuum mobile des Schreibens, wie „Umberto Eco“ es auch nicht besser hätte erfinden können.
Für die Hauptidee der „Insel“ kam der Troika ein Zufall zu Hilfe. Seine Schuppenflechte zu lindern, war Orlando in die Südsee gereist. Ob aus Jux oder Desorientiertheit – auf seiner ersten Postkarte stand das Datum des 2. August. Sie kam aber schon am 1. in Rom an, wo die drei inzwischen lebten, um den Vatikan-Roman zu recherchieren, der dann aber zugunsten der „Insel“ hintangestellt wurde. Während Emilio in seiner empirischen Einfallslosigkeit für den Zeitsprung keine Erklärung fand, hatte der behende Carlo sogleich eine zur Hand. Die Karte habe die Datumsgrenze übersprungen, sei vorneweg um den Erdball expediert worden. Man denke an Poes „Drei Tage in einer Woche“! An Phileas Fogg! An Jüngers „Beobachtungen beim Orangenschälen“! Das Gerüst des Romans zu erfinden, war nun ein Kinderspiel.
Orlandos ekstatische Verschmelzungserlebnisse bei seinen Tauchgängen arbeiteten sie bruchlos in das rasch anschwellende Manuskript ein. Sie veranlaßten ihn, fünf weitere Wochen zu schnorcheln und Impressionen zu schicken, was ihnen Gelegenheit gab, eine Mailänder Zeitungsvolontärin auf die Fidji-Inseln zu lotsen, wo sie den Meister „zufällig“ aufspürte. Die Bilder des dümpelnden Eco ohne Bart (damit kein Wasser in die Taucherbrille lief) gingen um den Planeten.
Mittlerweile ist der Bart wieder da, doch das Pseudonym ist erledigt. Ein dissimilierendes Dementi von Bompiani, Ecos Mailänder Verlagshaus, wurde von Roberta Badano gemeinsam mit einem abgewiesenen Doktoranden aus San Marino auseinandergenommen. Anhand einer Konsonantenstatistik konnten sie nachweisen, daß es direkt aus der flotten Feder Carlo Scuros geflossen war. Die Textanalyse brachte übrigens auch zutage, daß Carlo, die Achse des Gespanns, dem Roman den eigenwilligen Schlußsatz bescherte: „Nichts ist so alt wie die Insel von gestern.“ Stefan Schomann
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