Die Rechtgläubigkeit erzwingen

■ Pakistans islamische Revolution frißt ihre Kinder: Aus der erträumten Heimat für alle Muslime des indischen Subkontinents wurde ein Land, in dem religiöse Intoleranz zunehmend gewaltsam agiert

Neu-Delhi (taz) – Als ein Gericht in Lahore vor einer Woche zwei Christen wegen Blasphemie zum Tod verurteilte, reagierte Premierministerin Bhutto mit charakteristischer Zweideutigkeit: sie habe nichts gegen eine Verurteilung wegen Blasphemie, aber sie sei schockiert über den Zeitpunkt des Urteils, so kurz vor ihrem USA-Besuch. Die opportunistische Formel nützte ihr wenig. In Islamabad kam es zu Demonstrationen, weil sie es gewagt hatte, die Weisheit des Urteils anzuzweifeln. Das Verbechen des minderjährigen Knaben und seines Onkels: sie hatten angeblich Papierfetzen mit beleidigenden Bemerkungen über den Propheten über eine Moschee- Mauer geworfen.

Asma Jehangir, die mutige Menschenrechtsanwältin, welche die beiden verteidigt hatte, kam nicht so leicht weg. Als sie am Donnerstag vor dem Obergericht in Lahore gegen das Todesurteil Berufung einlegte, kam es draußen zu Ausschreitungen gegen sie und die beiden Christen. „Sie haben mein Auto zusammengeschlagen, ich kam mit dem Leben davon“, sagte sie gegenüber der Agentur AP, bevor sie für eine Herzoperation in die USA verreiste.

Pakistan, dessen Grundgesetz religiöse Minderheiten schützt, hat mit seiner Islamisierungspolitik eine Bewegung religiöser Intoleranz ins Rollen gebracht, die immer gewaltsamer wird und gleichzeitig immer engere Kreise zieht. Die winzigen Minderheiten der Christen und Hindus sind besonders dann gefährdet, wenn ihre Mitglieder in ein ökonomisches oder soziales Konkurrenzverhältnis zu Muslimen treten – etwa bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz oder beim Landkauf. Es droht ihnen dann die Guillotine des Blasphemiegesetzes und eine religiöse Gerichtsbarkeit, die jeder Wahrheitsfindung spottet.

Die Minderheiten können sich aber einigermaßen schützen, indem sie sich ins soziale und staatlich verordnete Ghetto ihrer Gemeinschaft zurückziehen. Doch muslimische Gruppen, die nicht der Sunni-Mehrheit angehören, haben diesen Schutz nicht, und in den letzten Jahren hat sich religiöse Intoleranz, verbunden mit Gewalt, zunehmend ins Innere der islamischen Glaubensgemeinschaften verschoben.

Diese Gewalt schöpft ihre Rechtfertigung meist aus theologischen Argumenten, wird aber durch ethnische und soziale Spannungen vertieft. Zu den ersten Opfern der allmählichen Polarisierung gehören die Ahmediyas, die bereits 1974 zu Nicht-Muslimen gestempelt wurden und seitdem immer mehr entrechtet werden. 1993 bestätigte das Oberste Gericht die Rechtmäßigkeit des Strafgesetzbuches, das den Ahmediyas verbietet, sich „Muslime“ zu nennen. Der Verstoß dagegen gilt als Blasphemie – und die Strafe dafür ist der Tod.

Im Gegensatz zu den Ahmediyas bilden die Schiiten mit 15 Prozent der Bevölkerung (ca. 18 Millionen) eine starke, selbstbewußte Minderheit, die zudem vom Iran unterstützt wird. Vor allem auf das Konto der alten Sunni/Schia-Rivalität geht das Klima der Gewalt in Pakistan.

Die meisten militanten Organisationen entstanden in den achtziger Jahren. Wesentlich zur Eskalation beigetragen hat die sunnitische „Anjuman Sipah-i-Sahaba“ (ASS), die aus Pakistan einen Sunni-Staat machen will. Sie sehen in den Schiiten „Kafire“ – Ketzer –, die es durch das Feuer auszulöschen gilt. Inzwischen haben sich neun weitere Organisationen um die ASS gebildet, die zum Teil noch rabiater sind und auch schiitische Gebetsstätten als blasphemische Herausforderung empfinden. Auf der anderen Seite haben sich Selbstschutzorganisationen der Schiiten gebildet, deren Mitglieder heute den meisten Veranstaltungen und Gebäuden der Schiiten Feuerschutz geben und denen Morde an zahlreichen ASS-Führern vorgeworfen werden.

Inzwischen macht das religiöse Eiferertum sogar bei den Sunnis nicht mehr Halt. Mehrere Schulen, die sich früher mit theologischen Argumenten bekämpften, haben in den letzten zehn Jahren einen Radikalisierungsprozeß durchlaufen, in dem abweichende Meinungen zunehmend zur Häresie gestempelt werden. Die Hanafiten, die der indischen Barelvi-Schule entstammen, haben besonders in den Stammesregionen des Nordwestens viele Anhänger. Sie lehnen die Scharia-Version des pakistanischen Staates ab.

Ethnische, wirtschaftliche und religiöse Gegensätze

Zweifellos vermengen sich in den Stammesgebieten religiöse mit ethnischen und ökonomischen Gegensätzen. Dasselbe gilt für die Sektenkämpfe im restlichen Pakistan. Der frühere Militärherrscher Zia al-Haq gilt als Hauptverantwortlicher dieser Entwicklung. Im Bestreben, seine Herrschaft durch etwas anderes als reine Waffengewalt zu legitimieren, begann er Ende der siebziger Jahre, das Land zu „islamisieren“. Aber er stellte dem westlichen Demokratiemodell nicht einen toleranten Islam gegenüber, der die vielen religiösen Spielarten des südasiatischen Islam einbezogen hätte, sondern spielte verschiedene Sekten gegeneinander aus: Zia stempelte die Ahmediyas zu Bürgern zweiter Klasse und nährte die Sunni/Schia- Spaltung, als er den Zakat – die Abgabe an Arme – in eine Steuer umwandeln wollte. Da die Regierung selbst zur Durchsetzung eines islamischen Staatsmodells verpflichtet ist, kann sie leicht des Verrats an dieser Pflicht angeklagt werden. So mußte kürzlich der Justizminister den Plan, scharfe Strafen beim Mißbrauch des Blasphemie-Paragraphen einzuführen, fallenlassen, als der Koalitionspartner der Regierungspartei PPP sich dagegen stellte. Premier Benazir Bhutto gilt für die Hanafiten aus Malakand als „Kafir“: sie erdreistete sich, die Aussage eines Mannes und einer Frau als gleichwertig einzustufen. Bernard Imhasly