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Herr Dankeschön fährt einen Bus

■ Kaleidoskop der japanischen Gesellschaft während der Weltwirtschaftskrise: „Arigato-San“ von Shimizu Hiroshi in der Reihe „Wiederentdeckt“ im Forum

In gewisser Weise ist „Arigato- San“ sogar konsequenter als „Speed“, er spielt nämlich tatsächlich ausschließlich in einem Bus – und das fast sechzig Jahre früher. Beim Ort der Handlung hören die Gemeinsamkeiten zwischen dem amerikanischen Action-Reißer und der wiederentdeckten japanischen Filmerzählung aber schon auf.

„Arigato-San“ heißt übersetzt „Herr Dankeschön“, und das ist der Spitzname des immer freundlichen Busfahrers, der zwar konsequent jedes Hindernis von der Straße hupt, sich aber immer artig und überschwenglich sogar bei wegflatternden Gänsen bedankt. Arigato-San ist nicht nur ein vorbildlicher Fahrer, sondern auch sehr hilfsbereit: Er überbringt Nachrichten und besorgt Schallplatten aus der großen Stadt für Menschen, die sich die Fahrt mit seinem Bus nicht leisten können. Der Fahrer schafft eine Atmosphäre, in der sich die Fahrgäste geborgen fühlen, so daß sie sich öffnen und sich ihre Schicksale zu einem Kaleidoskop des ländlichen Japan verknüpfen können.

Das öffentliche Verkehrsmittel macht sie alle gleich: den Handelsreisenden mit dem falschen Schnurrbart, die Prostituierte, die dreist mit dem Fahrer flirtet, das alte Ehepaar, das unterwegs ist zur nächsten Beerdigung. Der Bus fährt durch das ländliche nördliche Japan, überquert Berge, überholt wandernde Arbeiter und Arbeiterinnen auf der Suche nach dem nächsten Job. Der Fahrer kennt sie alle, erzählt Geschichten über die, die nicht im Bus Platz genommen haben.

So wird der Film zu einem japanischen „Früchte des Zorns“, wenn auch ungleich heiterer. Aber „Arigato-San“ zeichnet ein Bild von einer Welt in der Weltwirtschaftskrise. Die vielen kleinen Geschichten werden durch die Einheit von Ort, Raum und Zeit zusammengehalten, die die Beschränkung auf eine einzige Busfahrt bietet, und durch den wichtigsten Erzählstrang: die Geschichte einer Mutter, die ihre Tochter aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten nach Tokio verkaufen mußte und sie nun im Bus bis zum Bahnhof begleitet. In Tokio wird die Tochter als Prostituierte arbeiten müssen, so viel ist immer klar, auch wenn es nur einmal und nur vermutend ausgesprochen wird.

Shimizus Hiroshis Geschichte beruht nicht nur auf dieser damals gängigen Praxis, sondern der Road-Movie läßt sich natürlich auch politisch interpretieren. Und auch wenn der symbolische Bus am Ende wieder heimwärts fährt und sich alles zum Guten gefügt hat, bleibt der bittere Nachgeschmack, daß das echte Japan bis zur endgültigen Endstation Faschismus durchgefahren ist. Ein drastischer Schluß wäre aber auch unpassend für die leichte, poetische Erzählweise von „Arigato- San“ gewesen, hätte die immer komische, harmonische Atmosphäre zerstört.

Shimizu Hiroshi war einer der bedeutendsten Regisseure des „Shomin-Geki“, eines Genres, das sich im Japan der 30er Jahre zu den beiden beherrschenden Stilrichtungen „Gendai-Geki“ (Gegenwarts-, meist Propagandafilme) und „Jidai-Geki“ (Historienfilme) gesellte. Filme des „Shomin- Geki“, das meist die Probleme des Kleinbürgertums melodramatisch umsetzte und so den größten Realitätsbezug hatte, wurden Anfang der 40er, als Faschismus und Krieg Japan endgültig erreichten, überhaupt nicht mehr produziert oder passierten nicht die Zensur. Ungefähr 150 Filme soll Hiroshi zwischen 1924 und 1959 gedreht haben. Der Großteil ist verlorengegangen. to

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