Es heideggert nicht so sehr

My Lai und Auschwitz, Täter und Opfer, Sickness and Cure: „The Addiction“ von Abel Ferrara im Wettbewerb  ■ Von Mariam Niroumand

Leider ist mein Gesuch bei den Vereinten Nationen, daß jeder, der versucht, jämmerliches Kunstwollen mit Bildern irgendwelcher Genozide aufzupolieren, sein Schulgeld zurückerstatten muß, abgeschmettert worden. So konnte Abel Ferrara, von dem man schon seit der „Frau mit der 45er Magnum“ und „Snake Eyes“ weiß, daß er einen kleinen Katholizismus an der Marmel hat, in größerem Stil auffahren. „The Addiction“ entblödet sich nicht, den gelungen Vampirgeschichten von „Vampirella“ bis „Interview mit dem Vampir“ eine hinzuzufügen, die das Blutsaugerleben unserer verlotterten Zivilisation als basic instinct unterjubeln will.

Kaum ist der Titelsong abgeklungen („You're the Sickness and the Cure“) sieht man Bilder vom amerikanischen Massaker in My Lai, und die Protagonisten Lily Taylor fragt sich anschließend, wie es kommt, daß ein einziger General verurteilt wurde, wenn doch alle dabeiwaren. In einer dunklen Seitenstraße wird sie von einer Schwarzgelockten, den Kokainistinnen der zwanziger Jahre nachempfundenen Dame gebissen – in den Hals, versteht sich – und muß anschließend ein bißerl weinen. Danach muß sie wieder ins Philosophenseminar, wo flugs von Heidegger, Determinismus und Omnipotenz die Rede ist. Aber keine Sorge: Zahl der Namen und Sinngehalt wachsen in umgekehrt proportionalem Verhältnis.

Der Film hat diesen Schwarz- Weiß-Look, der ihn einerseits an so eine Noir-Beatnik-Eleganz und andererseits an den „American art movie“ ankoppeln soll; das wirkt mitunter wie Silberstiftzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, wie eingraviert, und für die Ewigkeit ist es ja auch gemacht. Wenn die Gebissene ein neues Opfer ausgesucht hat (es sind übrigens oft und gern Frauen), dann fordert sie sie auf, den Biß doch zurückzuweisen (Kollege Kuhlbrodt weist auf die Ähnlichkeit zu „Just say no“ hin, dem Slogan der Reaganschen Anti-Drogenkampagne). Wenn man sich dann inniglich beißt, sieht man wieder Bilder von Massengräbern in Auschwitz. Ja, da hing man auch so verwechselbar zusammen, Täter und Opfer, Sickness and Cure.

Zum Ende hin, als immer mehr Menschen gebissen worden sind, der Club immer größer wird und man immer orgienhafter zusammenhängt, verwendet Ferrara Bilder aus Bosnien, bei denen die Kamera besonders über die entblößten Unterleiber der Opfer gefahren ist, um die ungeheure sexuelle Erregung anzudeuten, die so ein serbischer Bombenangriff auf dem Marktplatz den dort in Erwartung Herumstehenden bereiten muß.

Wirklich bestürzend war nur die Pressekonferenz hinterher, auf der Ferrara, weder von der Unterzeichnenden noch sonstwem aufgehalten, frohen Mutes seine steindummen Botschaften ans Volk bringen konnte, daß einem der arme Wurstsalat nur so hüpfte im Gedärm. Erbärm, erbärm.

„The Addiction“. R: Abel Ferrara. Mit: Lili Taylor, Annabella Sciorra, Chritopher Walken. USA 1994, 84 Min. 21.2. Intern. 22.30