Biologisches Make-up und Gewalt

Die Gene sollen verantwortlich sein für Aggressionen und kriminelles Verhalten  ■ Von Wolfgang Löhr

Sind es die Erbanlagen, oder ist es die Umwelt, die die menschlichen Verhaltensweisen bestimmt? Eine uralte Streitfrage, doch seitdem bessere Untersuchungsmethoden den Blick auf die Zusammensetzung der genetischen Erbsubstanz erlauben, geraten verstärkt einzelne Gene in den Blickpunkt der Forscher. Die Ursache für Homosexualität, Alkoholismus, Schizophrenie und sogar die Neigung zum Seitensprung wollen Humangenetiker in den menschlichen Chromosomen ausgemacht haben. Die neueste Variante, die genetische Grundlage kriminellen und antisozialen Verhaltens, stand vergangene Woche im Mittelpunkt eines Londoner Symposiums, zu dem Humangenetiker, Neurologen, Juristen, Psychiater und Psychologen geladen waren.

Schon im Vorfeld geriet die Tagung unter Beschuß. Eine Gruppe von dreizehn britischen Wissenschaftlern warfen den Veranstaltern – neben der Ciba-Foundation zeichnete das Welcome Centre for Medical Science dafür verantwortlich – eine einseitige Besetzung vor. Es sei „alarmierend“, heißt es in dem von Biologen, Sozialwissenschaftlern und Kriminologen unterzeichnten Brief an die Stiftung, daß weder Sozialwissenschaftler noch andere Forscher, die dem „genetischen Determinismus“ kritisch gegenüberstehen, zu der Veranstaltung eingeladen worden seien. Damit habe man sich schon vorher darauf festgelegt, daß die „genetischen Ursachen für kriminelles Verhalten weitaus wichtiger sind als soziale Mißstände“.

Der Leiter des Symposiums, Michael Rutter, Professor am Londoner Institute of Psychiatry, beeilte sich dann auch auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz, die Vorwürfe zu entkräften. Er betonte, daß es nur um den „genetischen Einfluß“ menschlichen Verhaltens gehe. Damit werde nicht gesagt, daß „die Umweltfaktoren keine Rolle“ spielten. Die Humangenetik könne nur aufzeigen, warum Kinder, die mit einem Risikofaktor ausgestattet sind, in einem bestimmten Umfeld anfälliger seien. Rutter führt zwar an, daß es bei dieser Forschung darum gehe, „ein besseres Verständnis zu bekommen, wie diese Faktoren arbeiten“, fügt aber in einem Nachsatz hinzu, daß dies „wichtig ist für die Intervention und Prävention.“

Daß damit nicht die Bekämpfung von sozialen Mißständen gemeint ist, wird an den Ausführungen von David Goldmann, Neurogentiker bei der US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH), deutlich. Er forderte auf dem Londoner Symposium, daß betroffene Elternpaare über die Risikofaktoren eines Fötus infomiert werden sollten und daß ihnen dann erlaubt sein müsse, selbst eine Entscheidung zu treffen, ob sie die Schwangerschaft abbrechen wollen.

Die Identifizierung von spezifischen menschlichen Genen, die für eine Prädisposition von Gewalttätigkeit verantwortlich gemacht werden, steht nach den Ausführungen von Gregory Carey erst am Angfang. Carey, der an der University of Colorado Verhaltensgenetik lehrt, vermutet, daß wahrscheinlich so viele Gene involviert sind, daß es unpraktikabel sein wird, den „Verhaltensgestörten“ zu therapieren. Selbst wenn es ethisch vertretbar wäre, würde sogar eine Genmanipulation nicht helfen. Diese Meinung wird nicht von allen Symposium-Teilnehmern geteilt. Sie sehen durchaus die Möglichkeit, mit Pharmaka einzugreifen. Die Grünen-Europaabgeordnete Hiltrud Breyer vermutet, daß „eine wachsende Anzahl Arbeitsloser und Wohnungsloser zum Objekt der Pharmaindustrie“ werden könne. Soziale Mißstände würden so zum medizinischen Problem gemacht.

Einen Höhepunkt in dieser Auseinandersetzung gab es bereits vor drei Jahren in den USA, als dort mit finanzieller Unterstützung des NIH erstmals ein Kongreß über die „genetischen Ursachen der Kriminalität“ abgehalten werden sollte. Proteste vor allem von afro-amerikanischen Organisationen führten schließlich dazu, daß das NIH seine Zusage zurückziehen mußte – die Veranstaltung, die an der Universität in Maryland stattfinden sollte, wurde daraufhin ganz abgesagt.

Die Diskussion geht jedoch über die USA hinaus. So war es eine niederländische Arbeitsgruppe, die als erste ein konkretes „Verbrecher-Gen“ benannt hat. Das Team von Professor Han Brunner, der auch auf der Rednerliste des Ciba-Symposiums steht, hatte bei einer angeblich besonders aggressiven niederländischen Familie einen Gendefekt ausgemacht, der zu einer Unterproduktion des Hirnbotenstoffs Serotonin führt. Der Mangel an dieser Substanz ist, so Brunner, die Ursache dafür, daß zahlreiche Mitglieder der Familie auffällig geworden sind. Wie auf der Londoner Tagung berichtet wurde, soll demnächst erstmals ein entsprechender Gentest in einem Gerichtsverfahren angewandt werden.

Schon einmal hat die Ciba- Foundation eine unrühmliche Rolle in der Auseinandersetzung um die Gentechnik gespielt. Im Jahre 1962 hatte sie die Crème der Wissenschaft zu dem berühmt gewordenen Ciba-Symposium „Man and his Future“ zusammengebracht.

27 Wissenschaftler, darunter Francis Chrick, Julian Huxley, Joshua Lederberg und Hermann Muller, gaben dort am Vorabend der Gentechnologie ihre Utopien zum besten. Von „strahlenresistenten Greifschwanztypen“ die man künftig extra für die Raumfahrt züchten könne, war die Rede. Huxley, seinerzeit Generaldirektor der Unesco, ging es um die Verbesserung des menschlichen Genpools. Ihn trieb die Sorge, „daß die allgemeine Qualität der Weltbevölkerung nicht sehr hoch ist und daß sie verbessert werden könnte und sollte“. Eine Verbesserung der „genetischen Qualität des Menschen durch eugenische Verfahren würde“, so Huxley, „eine große Last von den Schultern der Menschheit nehmen und zur Steigerung der Lebensfreude und Tüchtigkeit beitragen“. Bei der Auseinandersetzung um die Gentechnologie sind die Teilnehmer des Ciba-Symposiums immer wieder als Kronzeugen dafür zitiert worden, wohin die Reise gehen wird, wenn die Wissenschaft der Menschheit ein Instrumentarium zur Manipulation des Erbgutes in die Hände gibt.