■ Die oberste Verfassungsrichterin äußert sich zum Asylrecht
: Darf sie das?

Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hat harte Kritik an dem neuen Asylrecht geübt – öffentlich. Nimmt man die Gewaltenteilung ernst, so darf sie das nicht. Sie ist die höchste Vertreterin der Judikative. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat auf Antrag über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, von Gerichtsentscheidungen, manchmal auch von Einzelentscheidungen zu befinden. Aus der Politik hat es sich herauszuhalten. Aber Limbach hat sich genau überlegt, weshalb sie öffentlich das „mit heißer Nadel genähte“ Asylrecht angriff.

Weshalb also mag sie der Ansicht gewesen sein, daß sie in diesem speziellen Fall Kritik an Exekutive und Legislative üben dürfe? Weil das BVerfG, wenn es um Abschiebungen geht, „oft Feuerwehr spielen muß“. Weil das Gericht in vielen Fällen gar nicht darum herumkommt, sich in Exekutiventscheidungen einzumischen. Weil ihm das exekutive Vorgehen von der Exekutive selbst aufgezwungen wird. Es sei, so die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, des öfteren vorgekommen, daß das Gericht „selbst“ beim Bundesgrenzschutz anrufen mußte, um die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern in letzter Sekunde zu verhindern. Wenn es um Abschiebungen geht, muß das oberste deutsche Gericht mittels Eilentscheidungen tätig werden, um eine möglicherweise rechtswidrige Entscheidung zu verhindern. Entscheidungen immerhin, die direkt in das Leben und die körperliche Integrität von Menschen aus anderen Staaten eingreifen.

Das BVerfG muß tätig werden, um die oftmals rechtswidrigen Entscheidungen der Exekutive zu revidieren. Und genau deshalb durfte die Gerichtspräsidentin ihre Kritik an der geltenden Gesetzeslage und dem praktizierten Verwaltungshandeln äußern. Eine private Meinungsäußerung wäre ihr in ihrer Funktion versagt gewesen. Aber ihre Kritik ist das Fazit ihres Berufsalltags als Vorsitzende des Zweiten Senats, der bei „brandeiligen Asylsachen“ aus den Beratungen über andere Verfahren herausgerissen wird.

In keinem anderen Rechtsgebiet ist das Bundesverfassungsgericht zu einem fast täglich gefragten Instrument geworden, das permanent exekutiv tätig werden muß. Das könnte ein Ende haben, wenn das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr in der Sache über die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Asylrechts – anhängig sind unter anderem Verfassungsbeschwerden von Iranern, die nach der Einreise über ein „sicheres Drittland“ vom Verwaltungsgericht abgewiesen wurden – abschließend befindet. Julia Albrecht