piwik no script img

Bombenfeste Bayern

TU München will für ihren neuen Forschungsreaktor in Garching eine „Unbedenklichkeitserklärung“ von der Bundesregierung  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Ende April soll das Baugelände „frei gemacht“ werden. So steht es in einem Brief des bayerischen Kultusministers an den Bonner Forschungsminister Rüttgers in Bonn – die Bayern sind nervös geworden. Anfang Februar kam die Nachricht, die USA wollten ihren neuen Forschungsreaktor nicht mehr für waffentaugliches hochangereichertes Uran auslegen. Eben diesen Stoff aber möchte die TU München in ihrem neuen Grachinger Reaktor, dem „FRM II“ einsetzen. Das verstößt zwar gegen ein weltweites Agreement der Atomphysiker, die mit einem freiwilligen Verzicht auf hochangereichertes Uran zur Nichtverbreitung von Atomwaffen beitragen wollen. Nur fühlten sich die Münchener Forscher daran nicht gebunden, weil sie darauf verweisen konnten, daß in Amerika mit der „Advanced Neutron Source“ (ANS) Ähnliches geplant werde.

Jetzt stehen sie allein auf weiter Flur. Niemand sonst auf der Welt plant eine Neutronenquelle, die mit atomwaffentauglichem Uran betrieben werden soll. Das Professoren-Duo Gläser und Böning von der TU München sieht trotzdem „keinen Grund, das Konzept des FRMII zu ändern“. Und Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) schwadroniert über die Unvergleichbarkeit des amerikanischen und des bayerischen Projekts. Diese Erkenntnis allerdings war ihm über Nacht gekommen. Denn bisher hatten die Bayern immer mit der Ähnlichkeit des Gegenstücks in Tennessee argumentiert.

Wie unsicher sich die Projektplaner ihrer Sache in Wirklichkeit sind, demonstriert das Schreiben, das nach Bonn geschickt wurde, kaum war die Nachricht von der ANS-Aufgabe bekanntgeworden. In dem Brief an Jürgen Rüttgers (CDU), der der taz vorliegt, verlangt die bayerische Staatsregierung eine „Unbedenklichkeitserklärung“ für den Garchinger 20-Megawatt-Reaktor. Das Ziel ist, mit vorbereitenden Baumaßnahmen schon beginnen zu können, bevor der Bonner Wissenschaftsrat im Mai abschließend über den Forschungsreaktor berät.

„Die enormen Schwierigkeiten, die mit dem Bau eines solchen Forschungsreaktors in der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind,“ gesteht das Münchner Kultusministerium in dem Text, „wurden wohl von allen an dem Projekt Beteiligten unterschätzt.“ Eile sei geboten, meint der Kultusminister, wegen der „Einhaltung des dem Generalunternehmervertrag zugrunde liegenden Terminplans“.

Generalunternehmer ist die Siemens AG. Tatsächlich sollen Fakten geschaffen werden. Die Bundesregierung, die den Garchinger Reaktor einer lobenden Erwähnung in der Koalitionsvereinbarung für wert befand, wird noch einmal in die Pflicht genommen – bevor die USA den diplomatischen Druck zum Verzicht auf das Garchinger Konzept verstärken. Bevor voraussichtlich Ende 1995 oder Anfang 1996 die erste atomrechtliche Genehmigung vorliegt, sollen schon alte Sünden („Entsorgung evtl. kontaminierten Erdreichs“) auf dem Garchinger Gelände der TU München beseitigt und eine Baugrube ausgehoben sein. Über weitergehende Motive läßt das von Ministerialdirigent Dr. Zimmermann gezeichnete Schreiben keinen Zweifel: Es gehe auch darum, nach der erwarteten Klage Garchinger Bürger „die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu gefährden“. Dazu sei es „notwendig nachzuweisen, daß alles für einen unmittelbaren Baubeginn nach Erteilung der ersten Teilerrichtungsgenehmigung getan wurde“.

Als Konsequenz aus der „Diskussion um die Einstellung des amerikanischen ANS-Projekts“ treibt die Pressestelle der „Projektgruppe Neuer Forschungsreaktor“ der TU München ihren Propagandaausstoß auf Rekordhöhe. Letzte Woche ließ sie ihr Faltblatt „Uran hoher Anreicherung am FRM II“ an „alle Haushaltungen nördlich Münchens“ verteilen, mit einer Auflage von 200.000 Stück.

In Bonn richteten die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Abgeordneten Wolf-Michael Catenhusen und Horst Kubatschka eine Latte von Fragen an die Bundesregierung. Tenor ihrer Forderungen: Aufgabe des Garchinger Reaktorkonzepts, um die anstehenden Verhandlungen über eine Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags nicht mutwillig zu belasten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen