Der stille Krach des Altmetalls

■ Metalfans der ersten Stunde beim Familientreffen im Bremer „Aladin“, samt „Luftgitarrenwettbewerb“

Er schüttelt die Mähne wie Angus Young. Er stampft herum wie Angus. Trägt einen Schlips wie Angus, die kurzen Angus-Hosen noch dazu. Auch würgt er seine E-Gitarre wie Angus. Kurz: Er ist es – oder doch beinahe. Pierre (aus Brinkum), der zweitbeste Angus von der Welt, zumindest an diesem Abend, im Aladin, Bremens schönster und dienstältester Rockerklause. Die Menge johlt, das Playback dröhnt, der Trockeneisnebel quillt. Nur eines fehlt Pierre, und die Illusion wäre perfekt: die Gitarre.

Pierre nämlich ist Luftgitarrist. Wo AC/DC-Gitarrist Angus, sein Idol, ein Griffbrett zwischen den flinken Fingern hält, greift Plagiator Pierre ins Leere. Aber gekonnt! Echte Rührung, als dem falschen Angus der Siegerpokal überreicht wird: Bester Luftgitarrist im Ersten Bremer Luftgitarrenwettbewerb. Jubel bei den übrigen Angusjüngern und -Doubles im Saale.

Rund 300 haben sich versammelt, um ihrem Kult zu huldigen: AC/DC. AC/DC aber ist vor allem Angus, der Gift- und Zauberzwerg unter den Rockgitarristen. Einmal zu sein wie er!

„Diese Magie“, seufzt Pierre. „Dieser kleine Zwerg, der auf der Bühne so riesengroß ist!“ Ganze Lebensläufe hat dieser Zauber in seinen Bann gezogen. Denn der AC/DC-Kult ist ein alter Kult: Wem in jungen Jahren „Highway To Hell“ widerfahren ist, der kommt nicht mehr davon los, für den Rest des Rockerdaseins hier auf Erden. „Metalfans sind ja die treuesten“, weiß die Kollegin in der Jury. Schon mit acht Jahren, gibt Pierre zu Protokoll, ist er auf den AC/DC-Höllentrip gekommen. Thomas, sein Rivale (aus Blender), kam erst mit Zwölf drauf. Aber dann! „Im ausgeräumten Kleiderschrank“ hat er seine ersten Angus-Soli gehört, „da kommen die Bässe wie bei einem guten GTI!“

Und so ist es dann geblieben. Die Herren Freizeitrocker, inzwischen so um die 30 und aufwärts, stehen immer noch auf Angus' Höllen-show. „Das ist noch Handwerk“, sagt Thomas' Kumpel Bernd. „Keine Elektronik!“ Auch nicht der Geschwindigkeits-Irrsinn der jungen Trashmetaltruppen. Und nicht der trübe Krach aus den Grindcore-Sümpfen. Nein: vier schlichte, stampfende Viertel nur; brettharte Verzerrersounds („wie ein Laster mit Schweinen, der einen Unfall baut“); viel Höllengeschrei drumrum. Und drei Akkorde, maximal. Zu mehr, sagt die Jurorin, hat es bei Angus nie gereicht. Aber mehr war auch nie nötig. Umso besser für die Luftgitarreros: „AC/DC nachspielen, das kann jeder.“

Doch nicht jeder traut sich. Sechs Gestalten wagen sich schließlich auf die Aladin-Bühne. Mario (Bad Zwischenahn) hat im Radio von dem Wettbewerb gehört und sich entsprechend vorbereitet: kurze Hose, weißes Hemd, Schlips, Turnschuhe – die authentische Angus-Rebellenuniform. Thomas hat sich „spontan entschlossen“: Er krempelt kurzerhand die Jeanshosen hoch. Und Konkurrent Winni klärt die Kleiderfrage gleich radikal: Er reißt sich das Hemd vom Leib und läßt den Bierbauch sein schauderhaftes Werk tun. So schütteln sie die Glieder, rudern mit den Armen – selbst Pete Townsend wäre gerührt von diesem Nachwuchs. Die wesentlichen Aktionen eines Rockgitarristen werden hier praktisch als Konzentrat geboten: am Jammerhaken ziehen, übers Griffbrett schrubben und mit der rechten Faust auf die Saiten hämmern, immer auf Sackhöhe.

Und das kann keiner so schön wie Pierre, findet die Jury. „Der zuckt so richtig gut!“ Selbst die Mundarbeit ist original Angus: stets leicht halboffen, nahe am Geifern. Höllisch gut drauf eben.

Siegerehrung: Schwitzend fallen die Verlierer Pierre in die Arme, klopfen sich mächtig auf Brust und Schultern. Pierre fällt auf die Knie, reckt den kleinen Pokal in die Höhe. Dann trägt ihn die Menge auf den Schultern fort, Pierre winkt ein letztes Mal mit Angus' Teufelspranke – riesengroß. Thomas Wolff