: Aus der Wahl soll Pflicht werden
■ Kirchen drängen in Berlin und Brandenburg auf den Abschluß eines Staatsvertrags, damit Religion in Berlin und Brandenburg ordentliches Pflichtfach wird / Sozialdemokraten sehen keinen Grund zur Eile
Wird Religion in Berlin und Brandenburg weiterhin als freiwilliges Unterrichtsfach von den Kirchen angeboten, oder wird es als ordentliches Pflichtfach unter staatliche Obhut gestellt? Im geplanten Kirchen-Staatsvertrag zwischen den Kirchen und dem Land Berlin ist ein entsprechender Passus enthalten, bestätigt Rainer Höttler von der Senatsschulverwaltung. Doch die Drängelei der Kirchen und auch der CDU-Fraktion, noch in dieser Legislaturperiode Religion als Pflichtfach an den Schulen einzuführen, stoßen bei der SPD auf Widerstand.
Seit mehr als vier Jahrzehnten kommt die Berliner Schule auch ohne das Pflichtfach Religion aus. Die Kirchen bieten den Religionsunterricht lediglich in eigener Regie an. Das Land stellt nur die Schulräume zur Verfügung und subventioniert den Untericht.
Nach dem Grundgesetz muß Religion ein ordentliches Unterrichtsfach sein. Es gilt jedoch eine Ausnahme („Bremer Klausel“): In Ländern, wo 1949 andere Regelungen bestanden, dürfen diese beibehalten werden. Das ist in Bremen und in West-Berlin der Fall gewesen. Ob diese Ausnahmeregelung auch für die neuen Bundesländer gilt, ist derzeit rechtlich umstritten. Kirchen- und Verfassungsrechtler sind sich da nicht einig. Die einen meinen, das Grundgesetz sei bindend, die anderen glauben, eine elastische Handhabung des Grundsatzes zum Religionsunterricht sei mit der Alternative „Ethikunterricht“ möglich, da in den neuen Ländern nur rund 20 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden seien.
Bis zur deutsch-deutschen Vereinigung mußten sich die Kirchen mit der sogenannten „Bremer Klausel“ arrangieren. Seitdem wittern sie Morgenluft und hoffen über den staatlich verordneten Religionsunterricht wieder mehr Schäfchen sammeln zu können. Die Kirchen seien nur dann zur Unterschrift unter einen Staatsvertrag bereit, wenn der Religionsunterricht geregelt sei, bestätigt Rainer Höttler von der Senatsschulverwaltung. Vorgesehen sei, gleichrangig neben evangelischem und katholischem Religionsunterricht wahlweise auch die Fächer Ethik und eventuell auch Lebenskunde und Islam anzubieten.
„Es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt in Hektik zu verfallen, es sei denn, man will hier eine bestimmte politische Richtung durchdrücken“, argwöhnt Petra Merkel, die schulpolitsche Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Man solle mit dem Kirchen-Staatsvertrag auf jeden Fall so lange warten, bis der Fusions-Vertrag Berlin-Brandenburg durch die Länderparlamente abgestimmt wurde. „Mit Brandenburg muß eine gemeinsame Lösung gefunden werden“, betont Merkel. Dem stimmt auch Rainer Höttler von der Senatsschulverwaltung zu. „Mit seiner etwas eigenwilligen Konstruktion der Schule kommt Berlin jetzt zunehmend unter den Hauptstadtdruck der Bonner. Ministerial- und Bundesbeamte fürchten wohl den Sündenfall ihrer Söhne und Töchter“, spöttelt Petra Merkel.
Auch im Brandenburger Landtag macht sich die CDU-Fraktion zum Anwalt der Kirchen und will Religion als ordentliches Lernfach einrichten. Wie in Berlin ist auch hier der Religionsunterricht freiwillig und wird von den Kirchen in eigener Regie angeboten. Streit gibt es in Brandenburg jetzt um das Fach „Lebensgestaltung, Ethik, Religion (LER)“, welches zur Zeit an 44 Schulen im Modellversuch erprobt wird. Die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport, Angelika Peter (SPD), hat mit ihren Leitlinien zum Schulgesetz ein kleines Erdbeben ausgelöst. Sie wollte festschreiben, daß das Fach LER zum ordentlichen Unterrichtsfach an Brandenburger Schulen wird. Das stieß bei den Christdemokraten auf erhebliche Kritik: Sie kündigten Verfassungsbeschwerde an, falls der bisherige Modellversuch LER, der im Sommer abgeschlossen sein wird, landesweit als Pflichtfach an den Schulen einführt werden sollte und Religion weiterhin nur als freiwilliges Angebot der Kirchen auf dem Stundenplan stünde. „Wir wollen, daß Religionsunterricht gleichrangig neben LER als Pflichtfach an den Schulen eingeführt wird“, sagte die CDU-Landesvorsitzende und schulpolitische Sprecherin der Fraktion, Carola Hartfelder.
In der Brandenburger SPD stößt die Kritik auf Unverständnis. Die Leitlinien müssen bei der CDU und auch bei den Kirchen falsch verstanden worden sein, beteuert der SPD-Fraktionssprecher Ingo Decker. Erst wenn der Modellversuch LER ausgewertet sei, könne man Endgültiges sagen. „Die Priorität der SPD liegt jedoch klar beim Fach Lebensgestaltung, Ethik und Religion“, gesteht Decker. Wichtig sei, sowohl den konfessionell gebundenen als auch den ungebundenen Schülern in einem verbindlichen und gemeinsamen Fach eine Kenntnis der Weltreligionen und der antiken Philosophien sowie ethische Werte zu vermitteln. Damit sei für die SPD garantiert, daß Schüler unterschiedlicher Traditionen und Glaubensrichtungen miteinander und nicht getrennt voneinander lernen. Nur so könne in einer pluralistischen Gesellschaft Toleranz entstehen.
Mittlerweile hat sich auch der Brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) eingeschaltet und über Nachrichtenagentur gemeldet, in Sachen Schulgesetz und LER sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es werde keinen Brandenburger Sonderweg geben, Religion sei auch als Wahlpflichtfach vorstellbar. Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg hat nun seinerseits Stolpe vorgeworfen, das Unterrichtsfach LER der Vereinigung mit Berlin opfern zu wollen. Michaela Eck
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