TV-Gerechtigkeit

■ Warum Prozesse in den USA so spannend sind: Pro7 bringt ab heute, 15 Uhr, alle Folgen der Kultserie "L.A. Law"

Auch nach 17 Verhandlungstagen hat der Prozeß gegen O.J. Simpson in Los Angeles für die amerikanischen TV-Zuschauer nichts von seiner Faszination verloren. Stundenlang werden die Live-Übertragungen verfolgt. Der Prozeß wäre nicht so ein Publikumserfolg, wenn es um die einfache Frage ginge: „War er es, oder war er es nicht?“ Viel wichtiger ist die Frage, wer besser ist im Wettstreit um das Urteil der Geschworenen: die Anklage oder die Verteidigung. Wie in einem Match vergeben die Kommentatoren im Fernsehen die Punkte, und zum Schluß hat eben die Seite gewonnen, die das Spiel besser beherrscht. Das mag einem Kenner der deutschen Justiz zynisch oder makaber vorkommen, aber das amerikanische Rechtssystem ist nun mal so ausgebildet, daß der Laie über Schuld und Unschuld befindet. Und der kennt weniger die Gesetze als die Emotionen. Und darauf setzen beide Seiten.

Für Filmautoren hat das den großen Vorteil, daß Gerichtsverhandlungen eigentlich von natura vom Auftritt großer Schauspieler leben. Nicht erst seit Sidney Lumets „Die zwölf Geschworenen“ wissen wir, wie gut solche Verfahren dramaturgisch nachzustellen sind. Viele amerikanische Gerichtsfilme haben diesen Erfolgsweg weiter beschritten.

So war es nur folgerichtig, daß auch das Fernsehen das Genre entdeckte – und das mit durchschlagendem Erfolg und spürbaren Folgen sowohl für das Fernsehen als auch für die Gerichtsbarkeit. Als 1986 die Serie „L.A. Law“ im NBC-Programm begann, wurde sie zunächst einmal als das angesehen, was sie ja auch war: einer der zahlreichen Versuche, die Zuschauer für eine Stunde bei einem Programm zu halten, bei dem man Spannung und Gefühle wirkungsvoll miteinander verband.

Doch diese gesunde Skepsis war schon nach wenigen Wochen verflogen. Steven Bochco, der Erfinder und Produzent der Serie, wagte sich von Anfang an an heikle Themen, von Aids über Rassismus, Frauendiskriminierung bis zu Behördenschlampereien und Politikerbestechung, so daß nicht nur die Zuschauer aufhorchten, sondern auch die Anwaltschaft. Es gab Büros, die sich die Folgen gemeinsam anschauten, Fortbildungsseminare, auf denen der „Seniorenanwalt“ Richard Dysart selber auftrat, es gab Abhandlungen in juristischen Fachzeitschriften über Fälle der Serie, und es gab einen Arzt, der gegen die Macher der Serie klagte, weil er glaubte, in einem echten Gerichtsverfahren nur verurteilt worden zu sein, weil die Geschworenen vorher einen ähnlichen Fall in „L.A. Law“ gesehen hatten.

Tatsächlich haben Bochco und die Autoren in den insgesamt 173 Folgen das wirkliche Leben nach allen Richtungen ausgeschlachtet. Kaum ein wichtiger Prozeß im Land, der sich nicht in der Handlung wiederfand. Dabei war es aber keineswegs so, daß sich vor allem die Liberalen in den Geschichten bestätigt finden konnten. Immer wieder passierte es, daß den Zuschauern zunächst suggeriert wurde, wie die Gerechtigkeit auszusehen habe und dann auch ihren Weg finden werde, bis plötzlich die Handlung eine ganz andere Wendung nahm.

Das ist das eine Erfolgsrezept der Serie, das andere ist die emotionale Seite. In der Anwaltskanzlei von Breckman, McKenzy & Becker menschelt es auch an allen Ecken und Enden. Beziehungen werden geknüpft und gehen wieder auseinander, das Leben prasselt über Anwältinnen und Anwälte und ihre Mitarbeiter in solcher Heftigkeit herein, daß einem die Lindenstraße wie ein Altersheim vorkommen muß. Im Gegensatz zum Wohnküchenmief der deutschen Serie versteht es aber Bochco, die Geschichten so anrührend und mitfühlend zu erzählen, daß die Schauspieler zu nationalen Figuren wurden. Nach fünf Jahren, in denen die Serie immer wieder mit Emmys überschüttet wurde – allein viermal für die beste Serie des Jahres –, bot ein Kabelsender sogar ein Wochenende lang ein „L.A.-Law-Festival“, an dem ausschließlich die besten Folgen ausgestrahlt wurden. Der Autor dieser Zeilen befand sich damals gerade auf einer USA-Tour, die sich zum Leidwesen der mitreisenden Ehefrau und Freunde an diesem Wochenende vor allem im Motel- Zimmer abspielte. Nur das Argument, daß man in dieser Serie das Land viel besser kennenlernen könne als auf dem Highway, konnte Schlimmeres verhindern. Den Nachhilfeunterricht in Sachen amerikanisches Recht und amerikanisches Leben bringt nun zum erstenmal komplett Pro7 in geballter Ladung. Nachdem einzelne Staffeln der Serien schon früher bei Sat.1, RTL und im österreichischen Fernsehen zu sehen waren, kommen nun alle 173 Folgen aus acht Jahren jeden Tag um 16 Uhr (nur heute: 15 Uhr) ins Programm. Anwälte sind zu dieser Zeit ja in der Regel noch in ihrem Büro. Karl-Otto Saur