: Der Traum vom Studium
Giustina Puddu und Maja Sinin, Ausländerinnen der zweiten Generation, erzählen über ihre beruflichen Pläne und ihre Auslandsaufenthalte ■ Von Janna Titoki
taz: Ihr seid Töchter von Migranten der ersten Generation. Hier habt ihr das Abitur gemacht und anschließend die Ausbildung begonnen. Waren Auslandsaufenthalte eingeplant? Und mußtet ihr mit euren Eltern darum kämpfen?
Giustina: Der Traum meiner Eltern war und ist das Studium. Das ist übrigens auch mein Traum. Nur für das Studium der Übersetzerin, das ich ursprünglich machen wollte, haben meine Noten nicht ausgereicht. Daher habe ich mich für die Ausbildung der Fremdsprachenassistentin entschieden. So konnte ich mich weiter mit Sprachen beschäftigen und gleichzeitig eine solide Ausbildung absolvieren. Mit der Option, danach zu studieren.
Über Auslandspraktika oder so wußte ich gar nichts. In unserer Ausbildung ist es Pflicht, ein Praktikum zu machen, ob im In- oder Ausland. Als unsere Lehrer uns über das Petra-Programm informierten, wollte ich unbedingt ins Ausland gehen und zwar nach Großbritannien. Nur der Sprache wegen. Meine Eltern haben mich ermutigt und unterstützt, so was zu machen.
Maja: Ich habe aus einem anderen Grund die selbe Ausbildung angefangen: Ursprünglich wollte ich in Jugoslawien Sprachen studieren. Doch wegen der bekannten Situation habe ich es mir anders überlegt. Als „Überbrückung“ habe ich die Ausbildung angefangen. Darüber hinaus kann ich den notwendigen Nachweis, fünf Jahre Spanisch, für das Studium der Übersetzerin erwerben, der Voraussetzung für die Aufnahme dieses Studiums ist. Ganz nüchtern also habe ich diesen Weg gewählt. Meine Eltern wollten, daß ich sofort an die Uni gehe. Aber nachdem ich sie über mein Vorhaben informiert habe, war alles o.k. Aufenthalte im Ausland waren für sie nie ein Problem gewesen. Und nie war mein Geschlecht ein Hindernis für meine Eltern, mich von einem Studium oder ähnlichem abzuhalten.
Haben eure Eltern großen Einfluß auf eure berufliche Orientierung?
Guistina: Das schon, aber sie lassen uns selbst entscheiden, was wir machen wollen, und dabei unterstützen sie uns. Viele MigrantInnen wollen eine bessere Zukunft für ihre Kinder – auch für die Töchter! – und sind bereit zu helfen.
Maja: Eben. So sehe ich es auch.
Wo habt ihr das Praktikum gemacht?
Maja: Ich bin für fünf Wochen nach Barcelona gefahren. Das Praktikum habe ich bei der Firma Filtros B. Marten, S.L. absolviert.
Giustina: Und ich habe bei der Firma J. Lindsay & Son in Edinburgh mein Praktikum gemacht.
Wer hat euch die Praktikumsplätze vermittelt, die Unterlagen besorgt?
Giustina: Bei mir war es so: Meine Schule arbeitet mit der Carl-Duisberger-Gesellschaft zusammen, letztere ist für die nationale Koordinierung des Petra-II- Programms zuständig. Die Schule hat mir den Praktikumsplatz besorgt.
Maja: Bei mir war es ganz anders. Denn wer nach Spanien gehen möchte, muß sich selber darum kümmern. Mein Vater hat für mich eine Praktikumsstelle über seine Firma hier in Deutschland besorgt. Den bürokratischen Vorgang hat für uns alle die Schule gemacht. Einen Teil des Stipendiums haben wir vor unserer Abreise bekommen und später nach der Vorlegung des Berichts das übrige Geld. Aber für fünf Wochen braucht man eine kräftige Unterstützung, denn das Stipendium reicht nicht aus – wir bekamen 1.250 Mark für Unterkunft und Verpflegung und 75 Prozent der Reisekosten.
Welche Erfahrungen habt ihr denn in den Betrieben gemacht?
Maja: Sehr positive. Das Unternehmen, das zum Industriegroßhandel gehört, ist die spanische Vertretung einiger deutscher Firmen, die hauptsächlich Industriefilter und Meßgeräte herstellen. Die Firma Filtros Marten ist relativ klein, mit fünf Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 200 Millionen Peseten. Eine gute Voraussetzung für mich, um einen guten Einblick in die Abläufe des Unternehmens zu gewinnen. Die MitarbeiterInnen und der Chef haben mir schon abwechslungsreiche Aufgaben erteilt. Ich stand nicht ständig vorm Kopierer und hab nicht nur Briefe eingetütet. Im Gegenteil, neben Kopieren, Telefonbedienen habe ich Briefe ins Deutsche oder Spanische übersetzt oder auch „Botengänge“ zur Bank oder zur Post gemacht. Außerdem habe ich sehr viel für die Werbung der Firma mitorganisiert. Es war nicht langweilig und ganz wichtig: Ich habe nie das Gefühl gehabt, dem Betrieb lästig zu sein.
Giustina: Ich bin voll zufrieden. In dem Unternehmen, ein Obst- und-Gemüse-Großhandel mit 25 MitarbeiterInnen, bin ich richtig herzlich aufgenommen worden – die SchottInnen sind wirklich sehr nett und hilfsbereit. Ich habe nicht so viele verschiedene Aufgaben wie Maja delegiert bekommen, aber mir wurden alle Abteilungen und ihre Funktionen erklärt. Hauptsächlich war ich in der Einkaufsabteilung beschäftigt und hatte mit Rechnungen zu tun. Und wenn nicht soviel los war, haben wir Tee getrunken und geredet. Eine super Möglichkeit, die Sprachkenntnisse zu verbessern. Sie korrigierten meine sprachlichen Fehler, vor allem die Aussprache, und das fand ich richtig toll.
Habt ihr Unterschiede in den betrieblichen Abläufen festgestellt?
Giustina: Ich kann keine Vergleiche ziehen, weil ich noch nicht in Deutschland oder Italien so was gemacht habe. Anders fand ich den Umgang miteinander. Sie waren locker. Die sind nicht so verbiestert wie viele Deutsche, obwohl sie wirklich viel arbeiten. Sie sind richtige Workaholics.
Maja: Ich habe im Betrieb keine besonderen Unterschiede festgestellt. Was wirklich anders war, ist deren Lebensart oder Philosophie zu leben. Sie arbeiten und sie leben.
Wo habt ihr gewohnt?
Maja: Mein Zimmer hat der Chef der Firma vermittelt. Ich habe in einer wunderschönen Gegend Barcelonas gewohnt, bei einer Frau, die Zimmer an Studenten vermietet. Eine ganz nette Frau war die Señora Ausas.
Giustina: Ich war bei der Familie Cunningham untergebracht. Eine schottische, sehr liebenswürdige und hilfsbereite Familie. Ich wurde vom Vater zu den Sehenswürdigkeiten der wunderschönen Stadt geführt. Mit Frau Cunningham und ihren Töchtern sind wir häufig shoppen gegangen.
War es einfach für euch, Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen?
Giustina: Natürlich. SchottInnen sind grundsätzlich sehr kontaktfreudig. Im Betrieb haben mich die Jüngeren wie selbstverständlich in ihren Freundeskreis aufgenommen. Manche Freundschaften pflege ich weiterhin.
Maja: Ich habe praktisch in einer Art WG gewohnt mit drei spanischen Studenten und einer Japanerin. Unsere Señora Ausas hat für uns gekocht, so daß wir immer gemeinsam morgens und abends gegessen haben. Wir haben viel diskutiert. Über Spanien, Deutschland und natürlich über den Krieg in Jugoslawien. Sprachlich konnte ich mich zwar sehr gut verständigen, aber wenn es zu intellektuell wurde, konnte ich nicht mithalten.
Hat der Gedanke eines vereinigten Europas für euch eine Bedeutung, oder ist es hohles Geschwätz und obendrein fremdes?
Giustina: Ich gehöre doch zu diesem Europa. Und was heißt fremd! Ich bin doch in zwei Sprachen und Kulturen aufgewachsen. Es müßte viel mehr europäische Programme geben. Wir müssen uns näherkommen, uns besser kennenlernen. Wir müssen Vorurteile, Klischees usw. abbauen. Und das kommt durch die persönliche Begegnung. Ich hatte auch meine Vorurteile über Großbritannien, Schottland gehabt. Jetzt sehe ich das Land mit anderen Augen. Ich will noch mal dahin, meine Freunde wieder besuchen.
Maja: Ich bin auch Bürgerin dieses Europas, obwohl ich Serbin bin. Gerade wir MigrantInnen mit unseren Biographien sind mit der Vielfalt Europas am besten konfrontiert und vertraut. Aber ein fünfwöchiges Praktikum ist zu kurz, um das Land, die Leute, die Kultur kennenzulernen. Ich würde trotzdem allen raten, insbesondere jungen MigrantInnen, eine Weile im Ausland zu leben. Ausland meine ich und nicht unsere erste Heimat, sondern woanders. Ich habe wertvolle Erfahrungen gemacht, bin sensibler geworden. Hab' mehr Verständnis und Geduld mit Menschen, die zum Beispiel mit der Sprache Schwierigkeiten haben u.ä. Früher ist mir der Satz leichter herausgerutscht, daß Ausländer sich gefälligst schnell die Sprache beibringen sollten und manches mehr.
Seit meiner Erfahrung als „Ausländerin“ in einem Land, bin ich viel toleranter geworden. Und für mich speziell, durch die Erfahrung mit vielen Flüchtlingen aus meiner Heimat, ob Bosnier, Kroaten oder Serben, ist mir mehr bewußt geworden, daß Umstände manchmal von heute auf morgen Menschen in unwürdige Verhältnisse zwingen. Bosnische Freunde mußten das Studium abbrechen, um ihr Leben zu retten. Jetzt putzen sie Klos ... Sie sind gebildet, aber sie können sich nicht verständigen. Ich hoffe, daß dieser Krieg endlich aufhört.
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