: Kein Geld für fremde Stimmen
Dem Internationalen Institut für Traditionelle Musik, das außereuropäische Klänge archiviert, droht trotz weltweiter Proteste die Schließung ■ Von Peter Lerch
Die Xikrin in Cataté, im brasilianischen Amazonas, sind ein vom Aussterben bedrohtes Volk. Die letzten 900 Personen eines Volkes mit eigener Kultur und Sprache wissen, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ihr Dorf von Goldsuchern und Holzfällern überlaufen ist und die junge Generation in die Städte abwandern muß. Der Cazique (Häuptling) bittet den 1989 im Cataté forschenden Schweizer Ethnomusikologen Max Peter Baumann, er möge alle Lieder und Gesänge eines ganzen Jahres als rituellen Zyklus dokumentieren: „Ich möchte für meine Enkelkinder wenigstens etwas von unserer Tradition überliefert haben, so daß sich die späteren Generationen erinnern können, von woher sie stammen.“
„Den Wunsch konnten wir dem Caziquen aus Zeitgründen nicht erfüllen“, erinnert sich Professor Baumann, der Leiter des Instituts für Traditionelle Musik (ITM) in Berlin. Der Ethnomusikologe arbeitet gemeinsam mit vierzehn Mitarbeitern in einer unscheinbaren Villa in der Winklerstraße in Grunewald. Das Institut, das 1963 auf Initiative von Yehudi Menuhin, Willy Brandt und anderen gegründet wurde, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Musiktraditionen außereuropäischer Kulturen wissenschaftlich zu dokumentieren und zu ihrer Erhaltung beizutragen.
Seit nunmehr 33 Jahren sind die Mitarbeiter des Instituts in den Räumen des Hauses global als Kulturvermittler tätig und sehen ihre vordringliche Aufgabe darin, die musikalischen Schätze, die unsere Welt noch beherbergt, und das musikalische Wissen zu verbreiten. Dies geschieht mit Hilfe von Tonstudios beziehungsweise aufwendigen Überspielgeräten. In der Villa werden die häufig an den entlegensten Stellen der Erde aufgenommenen Klänge auf Schallplatte oder CD gepreßt und katalogisiert. Neben den über 170 Schallplatten, CDs und Kassetten, auf denen die Musikkulturen der Welt hörbar gemacht wurden, produzierte das Institut einhundert Bücher und eine internationale Zeitschrift, die das ITM weltweit zu einem der stimmgewaltigsten Fürsprecher der Musik fremder Völker gemacht hat.
International sind auch die Mitarbeiter des Instituts. Dr. Habib Hassan Touma, der die Konzerte leitet, bis hin zu Dr. Tiago de Oliviera Pinto, der die Redaktion organisiert, sie alle verbindet das gemeinsame Ziel, mit Hilfe der Musik eine Annäherung zwischen unterschiedlichen Kulturen zu bewirken. Jürgen Dietrich, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Instituts: „Für die Stimmen der anderen, für das Fremde einzustehen ist ein fundamentales Anliegen der Institutsarbeit.“ Dementsprechend veranstaltet das Internationale Institut für Traditionelle Musik immer wieder Festivals, Konzerte und Kulturtage. Als Beispiel seien hier die Musik und Kulturtage der Sinti und Roma erwähnt, die im Oktober 1992, auf dem Höhepunkt rassistischer Übergriffe gegen Fremde, abgehalten wurden.
Doch Sparmaßnahmen der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten sollen dem Institut zum Jahresende endgültig den Garaus machen. „Wir setzen uns für die Stimmen derjenigen ein, die nicht gehört werden. Aber jetzt will man uns auch nicht mehr hören“, erklärt Professor Baumann. Doch das Institut hat zahlreiche internationale Kontakte, fungiert unter anderem als beratendes Gremium des internationalen Musikrates (Unesco) und unterhält Kontakte zu Kulturministerien vieler Länder dieser Welt. Dort löste die beabsichtigte Schließung bereits jetzt großes Befremden aus: Schwer vorstellbar, daß eines der reichsten Länder dieser Erde es sich nicht leisten können soll, ein Institut mit einem vergleichsweise kleinen Etat von einer Million Mark jährlich zu finanzieren.
Zweihundert namhafte Institute und Universitäten aus allen Ländern der Erde haben bereits gegen die beabsichtigte Schließung protestiert, unter anderem so bekannte Einrichtungen wie die Oxford-Universität, die Harvard- Universität, die Unesco, das Centre Pompidou, die Columbia-Universität und die Universität von Montreal. Den Kultursenator hat dies bisher allerdings nicht beeindruckt.
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