Bosnisches Gebäck und wenig Hoffnung

Der Anfang ist leichter als der Alltag: Ein Paar aus Bosnien lebt seit einem Jahr bei seiner Gastgeberin  ■ Aus Merzig Heide Platen

Auf dem Kuchenteller liegen goldgelbe Hurmasice. Sie sind süß, locker und mit Walnüssen gefüllt. Die Feuchtigkeit kommt, sagt Timka T., vom Bestreichen mit Zuckerwasser. Die Bosnierin Timka arbeitet halbtags im SOS- Kinderdorf von Merzig im Saarland. Daheim backt sie Brot und Kuchen, kocht, wäscht und putzt: „Da habe ich wenigstens keine Zeit zum Nachdenken.“ Ihr Lebensgefährte Batho M. backt, kocht und wäscht nicht. Er ist krank geschrieben wegen seiner Rückenschmerzen. Und er hat Zeit zum Nachdenken, mehr noch zum Grübeln.

Der große Mann mit dem klugen Kindergesicht und den stumpfen Augen ist 42 Jahre alt. Er bewegt sich schlaksig wie eine zerbrochene Riesenpuppe. Timka und Batho sind im Dezember 1993 ins Saarland gekommen. Beide wohnten in Bosanka Dubica, sind dort geboren und wollen eigentlich nur wieder dorthin zurück. Timka lebt mehr als Batho in der Gegenwart, von einer Stunde auf die andere. Aber beide haben keinen Blick für die Zukunft, sehen immer nur in die Vergangenheit. Da waren sie Zahntechnikerin und Starkstromelektriker und, meinen sie sich zu erinnern, sehr glücklich. Beide hatten Häuser, stammten aus gutsituierten Familien. Jetzt ist das alles vorbei. Das Haus von Batho ist zerbombt, in dem von Timka wohnen, vermutet sie, „die Serben“. Batho sagt, und das ist ihm sehr wichtig, er sei „das erste Mal in meinem Leben Mieter“. Zu Merzig fällt beiden zuallererst ein, daß es sie an Bosanka Dubica erinnert: „Es ist genauso groß.“

Die moslemischen Männer in Bosanka Dubica sind, erzählt Batho, „sehr schlecht behandelt worden“. Er wurde von der serbischen Polizei zur unentgeltlichen Zwangsarbeit verpflichtet. Er habe im Wald Bäume fällen müssen. Was das außerdem noch für eine Arbeit war, kommt erst nach und nach aus ihm heraus. Er ist von der serbischen Polizei gezwungen worden, die Häuser seiner moslemischen Nachbarn auszuräumen. Wenn er sich weigerte, ist er geschlagen worden. Er leidet gesundheitlich unter den Folgen. Einen Arbeitsplatz in Merzig gab er schon auf, und auch auf seiner jetzigen Stelle als Hausmeister ist er seit Wochen nicht erschienen. Und er kann nicht Deutsch lernen, die fremde Sprache nicht begreifen. Timka hat – vermutlich ihm zuliebe – auf den Fortgeschrittenen- Kurs verzichtet. Batho merkt nicht, daß er rücksichtslose Sätze sagt: „Die Frauen haben in Bosanka Dubica nicht so gelitten. Sie sind nicht geschlagen und mißhandelt worden.“ „Doch“, sagt Timka leise auf deutsch und faßt mit der Hand auf ihr Herz, „wir haben auch gelitten, hier drinnen.“

Batho und Timka sind zwei der Flüchtlinge, die mit der Organisation „Den Krieg überleben“, gegründet von dem Journalisten Martin Fischer, über deren Transitlager in Ivanic Grad bei Zagreb aus dem serbisch besetzten Gebiet um Banja Luka ausgereist sind. Sie fanden Aufnahme bei der gelernten Krankenschwester Susanne S. Sie hatte einen Aufruf gelesen, in dem Gastfamilien gesucht wurden: „Ich wußte nicht viel über diesen Krieg, konnte aber einfach nicht mehr nur zugucken.“ In dem Haus im Ortsteil Fitten lebt sie im ersten Stock, im Erdgeschoß wohnt die Tochter des Hausbesitzers, im Souterrain wurde ein großes Zimmer mit weitem Blick auf grüne Hügel frei, eine kleine Küche und Bad gehören auch dazu. Sie erledigte die Formalitäten und holte das Paar in Bonn ab. Susanne S. ist nicht verheiratet, erwartet demnächst ein Kind. Das habe, meint sie, ihre Gäste am Anfang schon verwirrt.

Daß das Zusammenleben in einem Haus mit Menschen, die einen anderen Lebensentwurf haben, nicht so einfach ist, stellte sich erst nach und nach heraus. Das fängt, sagt Susanne S., ganz harmlos an, aber manchmal scheinen Welten zwischen ihr und den beiden zu liegen. Sie sammelt den Müll getrennt, raucht nicht, ernährt sich gesund. Timka und Batho lieben Fleischgerichte, haben von Müllvermeidung keine Ahnung, qualmen wie die Schlote. Batho hatte sich nach dem ersten Arbeitsplatzverlust öfter mal betrunken. Susanne war auf der Seite von Timka, aber die hatte an der Frauensolidarität wenig Interesse, sondern mühte sich, den Schein zu wahren.

Außerdem hat es Susanne S. nach mehr als einem Jahr manchmal satt, immer wieder Behördengänge für Batho zu erledigen, die er gut selbst tun könnte. Daß er herumsitzt, sich mittags das Essen kochen läßt, wenn Timka von der Arbeit kommt, stört sie. Ihr vorsichtiger Rückzug sei nötig, findet Susanne S., weil das Paar inzwischen auch in der Nachbarschaft Kontakte hat, ihre Mitbewohnerin manchmal einspringt und es Treffen mit schon länger in Merzig lebenden BosnierInnen gibt. Und manchmal, sagt Susanne S., „habe ich auch keine Geduld mehr – und dann aber gleich ein schlechtes Gewissen“. Dennoch hat sie gelernt, gelegentlich nein zu sagen. Und, würde man sie fragen, ob sie noch einmal Flüchtlinge aufnähme, sie würde „auf jeden Fall“ ja sagen.

Karin Konrad im Bonner Büro von „Den Krieg überleben“ hat inzwischen 1.300 Fragebogen verschickt, um zu erfahren, welche Probleme GastgeberInnen haben. Die meisten Differenzen, weiß Konrad, treten nach ungefähr drei bis acht Monaten des Zusammenlebens auf. Es kommt zu Mißverständnissen, wenn die BosnierInnen Landsleute kennenlernen oder mit Verwandten reden, die in anderen Bundesländern untergebracht sind. Da bekommen die einen Sozialhilfe und die anderen nicht. Diese Ungleichbehandlung verstehen viele nicht und fürchten, die GastgeberInnen enthielten ihnen etwas vor. Gerade Männer brauchten, meint Karin Konrad, mehr psychosoziale Betreuung. Für Frauen gebe es indes in einigen Städten entsprechende Angebote. Nur, „daß an die Männer schwer ranzukommen ist. Sie sind oft völlig verschlossen und gestehen nicht ein, daß sie Hilfe brauchen.“ Frauen finden eher einen Nebenjob, putzen, helfen in Kantinen aus. Das wiederum nagt am Selbstwertgefühl ihrer Partner. GastgeberInnen wiederum tun sich einerseits schwer mit dem Loslassen ihrer Schützlinge, andererseits damit, zuzugeben, daß sie nach über einem Jahr auch gerne wieder eine Privatsphäre hätten.

Solche Schwierigkeiten, so Karin Konrad, gebe es aber „zum Glück nur bei einer Minderheit“. Viele Flüchtlinge haben inzwischen eine Wohnung und Arbeit gefunden und holen ihre Verwandten selbst nach. 5.800 Menschen sind seit Ende 1992 vermittelt worden. Aber immer noch warten 1.000 Menschen auf Aufnahme bei Gastfamilien. Besonders problematisch sei es für jene, sagt Konrad, die schon alt sind. GastgeberInnen fürchten, daß gesundheitliche Probleme zu den Eingewöhnungs- und Verständigungsschwierigkeiten hinzukommen könnten. Die Verpflichtungserklärung, die der Gastgeber unterschreiben muß und die ihn bindet, dauerhaft für den Lebensunterhalt der Bosnier aufzukommen, ist ebenfalls ein „Abschreckungsmittel“. Sachsen hat beschlossen, daß GastgeberInnen nach zwei Jahren aus dieser Pflicht entlassen werden. In Hessen und Nordrhein- Westfalen wiederum haben einzelne Sozialämter Geld von den Gastfamilien zurückverlangt.

Susanne S. hatte noch vor der Aufnahme von Timka und Batho Spenden bei Verwandten und Bekannten gesammelt und eine Dolmetscherin gefunden. Sie war sehr gespannt auf die erste Begegnung, die dann zwischen sich völlig fremden Menschen „sehr ergreifend“ war. Batho habe damals „gezittert wie ein geschlagener Hund“. Er stand sichtlich unter Druck, „alles ja richtig zu machen“, wirkte unbeholfen, dann wieder übereilt und hektisch. Anfangs sei alles trotzdem „richtig euphorisch und bemerkenswert unproblematisch gelaufen“. Spiele, gemeinsames Frühstück, erste Verständigung mit dem Wörterbuch halfen dabei.

Aber dann kamen Krankheiten, Behördengänge, Ärger mit gleichgültigen und „richtig unverschämten“ Beamten. Die Pässe der beiden machten eine regelrechte Odyssee durch zwischen Polizei und Ausländerbehörden. Batho kränkelte, während „die drei Frauen hier im Haus jeden Tag zur Arbeit gingen“. Er weigerte sich, den Bus zu benutzen, ging lieber kilometerweit zu Fuß in die Stadt. In Bosnien hat er – einer der wenigen Sätze, die er in deutscher Sprache radebrecht – „auch ein Auto gehabt“. Dabei lächelt er verlegen und strahlt in die Vergangenheit.

Obwohl oder gerade weil sie mit Timka und Batho darüber nicht sprechen könne, vermutet Susanne S., daß die beiden ihre bisherigen Arbeiten in Deutschland an die Zwangsarbeit zu Hause erinnerten. Timka „verdient“ als Haushaltshilfe im Kinderdorf zwei Mark die Stunde: Faktisch ist die Sozialhilfeempfängerin verpflichtet, für das Geld, das sie bekommt, arbeiten zu gehen. Susanne S. hat versucht, für sie eine Stelle als Zahntechnikerin zu finden und ihr damit auch eine Arbeitserlaubnis zu verschaffen. Vergeblich.

Nur wenn er von seinem gehabten Leben erzählt, lebt Batho auf. Religion spielte für die moslemische Minderheit damals keine Rolle. Alle Feste, christliche wie islamische, wurden gemeinsam gefeiert. Im Sommer ging es ans Meer, im Winter zum Skifahren. Aber die Verletzungen sitzen tief. Der ehemals „beste Freund“, mit dem er schon als Kind spielte, „hat bei mir gestohlen“. Beide vermeiden es, Nachrichten aus ihrer Heimat zu hören. Timka sagt: „Das Schwerste ist die Hoffnung.“ Daß ihre Region nach einem Friedensschluß und wie auch immer gearteter Teilung an die Serben fallen könnte, daran mag sie nicht denken: „Wir müssen nach Hause.“ Für Deutschland haben sie „keine Pläne“. Das sei auch kaum möglich, weil ihre Duldung nur jeweils auf ein halbes Jahr verlängert wird. Trost sind ihnen die Treffen mit ihren Landsleuten: „Das ist das einzige, was wir noch haben.“

Das Wichtigste für beide ist in Deutschland, „daß die Angst nicht mehr so groß“ war. Und das elektrische Licht: „Wir hatten ein halbes Jahr lang kein Licht mehr.“ Den Bombenangriff auf sein Haus überlebte Batho zusammengekauert in einer Ecke. Aber die Mißhandlungen kann er nicht vergessen. Er erschrickt, sagt Timka, „noch heute immer, wenn es klopft“. Zwischen all den Sorgen und schmerzlichen Rückblicken erinnern sie sich ständig gegenseitig daran, daß sie dankbar sind, „den Deutschen, Susanne, den Nachbarn, Martin Fischer, an alle ganz viel Dank“.

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