„Er ist ein sehr guter Innenminister“

Eine illegale Abhöraktion wird zur Affaire. Frankreichs Innenminister Pasqua unter Druck, und mit ihm Wahlkämpfer Balladur / Alle sind empört, nur Jacques Chirac hält sich bedeckt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Charles Pasqua ist ein sehr guter Innenminister“, erklärte der französische Regierungschef Edouard Balladur gestern morgen in einem Radiointerview. Und ergänzte: „Wenn es bei der Abhöraktion Fehler gegeben hat, müssen diese korrigiert und Sanktionen ergriffen werden.“ Aber von einem politischen Skandal — einem Watergate an der Seine gar, wie Opposition und französische Medien bereits sagen — könne doch nun wirklich nicht die Rede sein.

Die Verteidigungsrede für den bulligen Innenminister war nötig, nachdem in den Stunden zuvor klargeworden war, daß die französische Kriminalpolizei eine ganz frische und durch und durch illegale Abhöraktion auf dem Buckel hat. Vom 15. bis zum 22. Dezember hatte sie das Telefon eines Pariser Sexualtherapeuten angezapft, der angeblich einen konservativen Politiker aus dem Umfeld von Charles Pasqua erpressen wollte. Die damals erhobenen Vorwürfe gegen den Psychiater klingen wie eine Räuberpistole: Er habe angeboten, gegen Geld Druck auf seinen Schwiegersohn — einen prominenten Untersuchungsrichter — auszuüben, damit der seine Korruptionsermittlungen gegen das Pasqua-Milieu einstelle.

Der Innenminister selbst hatte die Lauschmaßnahme beantragt, der Regierungschef hatte sie bewilligt. Die hochkarätigen Unterschriften waren nötig, um die Abzapfaktion als „eilige Notmaßnahme“ durchführen zu können: Denn nur, um „größeren Schaden“ abzuwenden, darf die Regierung den BürgerInnen ans Telefon gehen, ohne vorher die Justiz zu konsultieren.

Tatsächlich aber hat die Gefahr eines „größeren Schadens“ nie bestanden. Das stellte ein Gericht fest, das sich mit der Anklage gegen den Sexualtherapeuten befaßte. Ergebnis: Die Abhöraktion habe eindeutig dem Gesetz widersprochen, und auch das gesamte dabei registrierte Material hat als illegal zu gelten. Das eingangs so eilige Verfahren gegen den Sexualtherapeuten hatte damit bereits sein Ende erreicht. Was blieb, war der Verdacht, Pasqua versuche, die Justiz ans Gängelband zu legen. Kaum haben mutige Untersuchungsrichter begonnen, die Korruptionsaffären auch im konservativen Milieu aufzudecken, inszeniere er eine Affäre gegen sie.

Der Verdacht ist schlimm für Pasqua – und fast noch schlimmer für Balladur. Denn etwas Schlimmeres als ein Skandal um seinen wichtigsten politischen Unterstützer konnte dem Regierungschef und Präsidentschaftskandidaten Balladur mitten im Wahlkampf kaum widerfahren. Stets bittet Balladur seine MitbürgerInnen um Vertrauen in seine Integrität und seine Fähigkeit, die Republik von der Spitze aus moralisch zu erneuern. Innenminister Pasqua, Law- and-Order-Mann, der besonders im Kampf gegen IslamistInnen und ImmigrantInnen hart durchgreift, war bislang Balladurs Garant für den Zugang zu einem großen Teil der rechten WählerInnen. Sein Rücktritt, wie er sich jetzt aufdrängt, muß Balladurs Wahlaussichten radikal verschlechtern.

Noch am Sonntag abend klammerte sich der Regierungschef im Fernsehen an die Rechtmäßigkeit der Abhöraktion. Als das am Montag nicht mehr zu halten war, suchte Paris in Windeseile nach einem weiter unten angesiedelten Sündenbock. Er fand sich in der Person des 54jährigen Jacques Franquet, dem Chef der Kriminalpolizei, die die Abhöraktion bei dem Sexualtherapeuten durchgeführt hat. Franquet reichte gestern bei seinem Chef Pasqua den Rücktritt ein. Daß sein Opfer genügt, um die Wogen wieder zu glätten, scheint unwahrscheinlich. Schon rufen Balladurs sozialistische, kommunistische und rechtsextreme Konkurrenten nach weiteren politischen Konsequenzen. Nur der zweite konservative Präsidentschaftskandidat Jacques Chirac, der wie Balladur aus der neogaullistischen RPR kommt, hüllt sich in Schweigen. Möglicherweise hat das mit der Verwicklung einiger seiner engsten Mitstreiter in das korrupte Milieu rund um Pasqua zu tun, gegen das jener Untersuchungsrichter, der Schwiegersohn des Sexualtherapeuten, ermittelt.

In einer hilflos wirkenden Geste setzte Balladur gestern alle gegenwärtig im Eilverfahren laufenden Telefonabhöraktionen aus und kündigte weitere Untersuchungen an. Zahlreiche prominente konservative Wahlkämpfer zeigten mit dem Zeigefinger auf Staatspräsident François Mitterrand, der seinerseits in den 80er Jahren illegal abhören ließ. Pasqua brach eine Wahlkampfreise in Marseille ab. Zu der Affäre, in deren Mittelpunkt er steht, äußerte er sich nur höchst wortkarg. „Alles unwichtige Kleinigkeiten“, sagt er.