: Schiffs-Autobahnen
Das Ausbaggern von Flüssen könnte durch den Einsatz von Elektronik vermieden werden ■ Von Dirk Asendorpf
Bremen (taz) – Rund 30 Milliarden Mark sollen bis zum Jahr 2012 in den Neu- und Ausbau deutscher Wasserstraßen investiert werden. So steht es im Bundesverkehrswegeplan. Eines der größten Projekte etwa, der Ausbau der Verbindung Hannover–Berlin, ist Mitte des Monats begonnen worden. Auf 280 Kilometern sollen die 110 Meter langen, europaweit standardisierten „Großmotorgüterschiffe“ (GMS) problemlos fahren können.
Ein Großteil der Gelder wird für das Vertiefen und Begradigen der Flüsse ausgegeben. Doch diese nicht nur teure, sondern auch ökologisch katastrophale Baggerei wäre mit dem intelligenten Einsatz von Elektronik fast überall vermeidbar. Davon jedenfalls gehen die Ingenieure des Bremer High- Tech-Unternehmens STN-Atlas- Elektronik aus. Denn sie haben ein „mobiles Binnenschiffahrts-Informationssystem“ (Mobis) entwickelt, das es ermöglicht, die Fahrt der übergroßen Binnenschiffe so zu steuern, daß sie sich in den brenzligen Kurven nicht begegnen.
Die Kapitäne bekommen an einer Schleuse einen Kleincomputer ausgehändigt, auf dessen Bildschirm ihnen eine bestimmte Fahrtgeschwindigkeit vorgegeben wird. Am Ende der problematischen Flußstrecke geben sie die High-Tech-Kiste an einer Schleuse einfach wieder ab. Die Steuerung der Schiffe funktioniert – ähnlich wie bei der Flugsicherung – über einen zentralen Rechner, der die genauen Schiffsstandorte per Satellitenpeilung ermittelt. Wartezeiten sind dabei für die GMS-Kapitäne minimal: Die Verkehrsdichte auf den meisten Binnenwasserstraßen ist so gering, daß die Schiffe schon durch geringe Geschwindigkeitsveränderungen problemlos aneinander vorbeigelotst werden können.
Die Technik ist ausgereift und wurde an einem Rhein-Abschnitt auch schon erprobt. Gegenüber dem Verbreitern oder Begradigen der problematischen Kurven ist sie zudem unschlagbar billig. Für den Ausbau der Mittelweser zwischen Bremen und Minden hat der Bremer Umweltsenator einen Kostenvergleich angestellt: Während die Begradigung von Kurven per Bagger mit rund 40 Millionen Mark veranschlagt wird, würde die elektronische Steuerung nur 1,5 Millionen Mark Investitionskosten und weitere 20.000 Mark pro mobiler Computereinheit kosten. Da die High-Tech-Kisten lediglich zwischen den Schleusen hin- und herpendeln, würden auf der Mittelweser nicht mehr als 20 von ihnen benötigt. Die Gesamtkosten des Systems lägen also unter zwei Millionen Mark – ganze fünf Prozent der für das Baggern nötigen Summe.
Doch auch wenn diese Rechnung beeindruckt – die jahrzehntelang eingefahrenen Denkgewohnheiten der Baggerlobby in den zuständigen Bundes-Schiffahrtsdirektionen verändert sie noch lange nicht. Noch immer gehen sie davon aus, daß eine gute Wasserstraße funktionieren muß wie eine Autobahn: je breiter und je gerader, desto besser. Und so ist das Interesse an intelligenteren Lösungen gering.
Trotz einer intensiven Diskussion des Mobis-Systems in Bremen hat der für den Ausbau der Mittelweser zuständige Bundesplaner, der 120 Kilometer entfernt in Hannover sitzende Dieter Schmidt- Vöcks, bis heute „überhaupt nichts davon gehört“. Er plant unbeirrt weiter am Ausbaggern von 13 Flußkurven der Mittelweser, um die Riesenfrachter ungehindert in beiden Richtungen fahren lassen zu können.
Dabei geht es im Binnenschiffsverkehr keineswegs in erster Linie um Schnelligkeit. Sein Vorteil gegenüber dem Lkw-Transport liegt vielmehr darin, daß er weit billiger und vor allem pünktlicher ist. Staus gibt es an den Schleusen der Binnenwasserstraßen schon bisher kaum, und mit dem Einsatz elektronischer Steuerung wären sie noch besser zu verhindern. Die damit mögliche exakte Einhaltung vorgegebener Ankunftszeiten wird von Unternehmen geschätzt, die ihre Vorratshaltung durch Just- in-time-Produktion auf die Verkehrswege verlagert haben.
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