: Ein Geständnis und sonst fast nichts
■ Solinger Mordprozeß: Düsseldorfer Richter weist Generalbundesanwalt Nehm in die Schranken und kritisiert BKA und Bundesanwaltschaft / Beweislage schwierig
Düsseldorf (taz) – Wolfgang Steffen ist berühmt für seine akribische Verhandlungsführung. Kaum einmal kommt dem Vorsitzenden des sechsten Strafsenats des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ein unüberlegtes Wort über die Lippen. Präzise und souverän sucht er seit nun fast neun Monaten den grausamen Solinger Mordanschlag aufzuklären. Auch dem kleinsten Hinweis auf mögliche Widersprüche bei Zeugen und Sachverständigen geht er nach. Eine Sorgfalt, die dem schwierigen Verfahren guttut und schon so manche von Anklägern und Verteidigern verbreitete Seifenblase zum Platzen brachte. Daß ausgerechnet der Karlsruher Generalbundesanwalt Kay Nehm diese zeitraubende Aufklärungsarbeit in der vergangenen Woche als „absolut unbefriedigend“ bezeichnete und sogar so weit ging, zu sagen, der Prozeß biete ein „trauriges Bild für die Justiz“, muß den Düsseldorfer Senat aufgewühlt haben.
Davon zeugte die gestrige Verhandlung. Jedes Wort ablesend, nahm sich Steffen den Generalbundesanwalt ohne jede diplomatische Zurückhaltung vor. „Mit Befremden“ habe man die Einlassungen aufgenommen. „Sollte das Verfahren tatsächlich ein trauriges Bild für die Justiz bieten, so hat der Senat das nicht zu vertreten.“ Die Bundesanwaltschaft (BAW) selbst habe ja immerhin sieben Monate bis zur Anklageerstellung gebraucht und 150 Zeugen und Sachverständige benannt. Miese Noten stellte Steffen dann dem Bundeskriminalamt (BKA) und der BAW aus. Der Prozeß habe bisher „mehr als deutlich gemacht“, daß es während der Ermittlungen „immer wieder zu Pannen“ gekommen sei. Insgesamt, so Steffen, „ist die Beweislage äußerst schwierig“.
Tatsächlich machen diese Pannen es dem Gericht schwer, den Tatablauf konsequent zu rekonstruieren. Außer dem Geständnis des Angeklagten Markus Gartmann hat die Anklage nicht viel zu bieten: Es dauerte Wochen, bis die Kleidung des jegliche Tatbeteiligung bestreitenden Felix K. auf mögliche Spuren untersucht wurde. Daß ein Brandsachverständiger Spuren aus Nachlässigkeit zerstört hat, gehört ebenfalls zu der Serie von Pannen wie das Bekanntwerden brachialer Vernehmungsmethoden. Gegen einen Beamten aus Wuppertal, der einen Beschuldigten unter Druck gesetzt hatte, läuft inzwischen sogar ein Ermittlungsverfahren.
Steffen erinnerte Nehm gestern auch daran, daß der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, Dietrich Beyer, als Zeuge in Düsseldorf die Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen alle vier Angeklagten als die „schwierigste Entscheidung“ in seinem Berufsleben bezeichnet hatte. Ein „wesentlicher Gesichtspunkt“ für diese Entscheidung war für Beyer seinerzeit ein Vernehmungsdetail, das nun schon seit mehreren Tagen im Zentrum der Verhandlung steht. Dabei geht es um eine Aussage, die der als erstes verhaftete Angeklagte Christian R. gegenüber der Polizei aus eigenem Antrieb gemacht haben soll. Laut Protokoll schilderte R. das zufällige nächtliche Zusammentreffen mit den anderen Angeklagten und teilte dann einige Details mit, etwa die Verletzung an der Nase des Mitangeklagten Christian B., die er nur von den Mitangeklagten in der Nacht selbst oder durch die Polizei erfahren haben kann. Diese Details sind auch für den Senatsvorsitzenden von „eklatanter Bedeutung“. Hätte R. sie tatsächlich aus eigenem Erleben geschildert, müßte dies als entscheidendes Indiz gewertet werden.
Der Leiter der BKA-Sonderkommission, Paul Kröschel, hat bei mehreren Vernehmungen unter Eid ausgesagt, er habe als vernehmender Beamter diese Informationen dem Beschuldigten „mit Sicherheit“ nicht vorgehalten. Eine BKA-Kollegin mochte sich indes nicht festlegen: „Es ist alles möglich.“ In der vergangenen Woche schilderte ein weiterer Kripobeamter, er sei seinerzeit in die Vernehmung „hereingeplatzt“ und habe dabei Einzelheiten ausgeplaudert. Ob die entscheidenden Sätze dabeiwaren, bleibt zwar offen, weil der Beamte sich daran nicht genau erinnern konnte. Ganz abwegig ist die Wertung der Verteidigung, daß durch diese Aussage „ein wesentliches Argument der Anklage ins Wanken geraten“ sei, aber nicht. Walter Jakobs
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