Blutstränen, knüppeldick

■ Körperkünstler in der Städtischen Galerie: Das altbekannte Gemetzel, mit wenigen zarten Ausnahmen/ „Close Up“, eine Gruppenausstellung

Schwarzes Fleisch, altrosa Fleisch. Gesichtsfetzen: übermalt und ausgestrichen; Namen: gelöscht. Körper kaputt, Identität kaputt, armes Mensch... Wenn's um den Komplex Körper, Sexualität und umzu geht, dann werden die Bilder meistens ziemlich platt. Das gilt für die Sadomaso-Bekenntnisshows in Funk und Fernsehen, das gilt für die drallen Zeitgeist-Blättchen – und auch für die Kunst. Selbst dann, wenn diese den grellen Hackfleischbildern eigentlich etwas entgegensetzen will.

Kaum ein Thema ist von der Kunst unlängst so ausgeweidet worden wie dieses. Das ist sehr plakativ, meist auch sehr effektvoll. Und läßt sich oft auch noch unter das Dach einer schicken Theorie, oder doch eines theoretischen Diskurses stellen. Die Selbstentblößungen und Rollenspiele einer Cindy Sherman oder eines Jeff Koons haben die Maßstäbe gesetzt – und gleichzeitig die extremen Pole der Debatte markiert. Eigentlich könnte man nun, nach der PR-trächtigen Fleisch- und Nabelschau der Körperkunst, mal wieder ein wenig genauer, ein wenig näher hinsehen. Fand eine Berliner Künstlergruppe und stellte die Schau „Close Up“ zusammen, jetzt in Bremens Städtischer Galerie zu erleben.

Nahe ranzugehen, das ist ein kluger Vorsatz. Doch von den Prätentionen der bisherigen Diskurse wegzukommen – das scheint doch schwieriger, als uns die Ausstellungsmacher weismachen wollen. Die alten Klischees und plakativen Plattheiten (siehe oben), sie bestimmen das Bild weitgehend noch immer. Mit Tränen aus Holz wird uns die Botschaft hier eingebläut: Knüppeldick und überlebensgroß hängt gleich eine ganze Batterie der Dinger von der Galeriewand. Die Assoziation „Baseballschläger“ liefert der Künstler im Beipackzettel gleich mit. Brutal! Heftig! Grausam! – so schreit es die Betrachter an. Oder auch: „Schlag/Schlag/Rein“ – drei Texttäfelchen, dekorativ im Saal drapiert: Gebrauchsanweisungen fürs Publikum, das sich bitteschön erschrecken möge.

Und immer wieder Körperteile. Gemalt, fotografiert; ausgeschnitten, bloßgelegt und aufgeblasen. Daß mit den Verstümmelungen der Kunst die Schockeffekte der übrigen Bilderwelt irgendwie gegengezeichnet werden könnten, oder zumindest freigelegt: Diese hübsche Utopie geht halt immer wieder in die Binsen. Wer besonders nah rangeht, verliert leicht das Ganze aus dem Blick. Übrig bleiben Stummel.

Aber es geht auch anders. Einzelne Beiträge zur Schau nähern sich durchaus behutsam dem gestreßten Körper, der zerfallenen Identität an. Gegenüber den fleischfarbenen Schreibildern steht da ein Zimmer im Raum: Schreibtische, Stühle, Lampen, Umzugskartons; darauf: Fotoalben voll mit Urlaubsbildern, Lesefutter für den Feierabend (Lord Byron, Edgar Wallace, Marquis de Sade), schließlich: Röntgenbilder. Eine Inventur: Wieviel Leben ist darin? Wer hat hier gehaust? Ein Todesfall? Schon brauen sich waghalsige Identitätsbilder im Kopf zusammen – schon stolpert man über die eigenen Klischees: ein Schwuler? Ein Freund des Kitsches? AIDS...? Und schon schreckt man zurück vor dem eigenen Geierblick. Diese private parts sind für den Voyeurismus, den gemeinen, nicht gemacht.

Und das ist aufregender und tiefgründiger als alle bohrenden Nahaufnahmen geiler Körperteile. Daß der Körper „ein potentiell langweiliges Thema ist“, wie das Berliner Kuratorenteam vermeint, um die Koketterie nochmals zu steigern: Dieses Vorurteil wird in der Ausstellung, zumindest in einigen Arbeiten, widerlegt. So fügt es sich am Ende glücklich, daß der hübsche Leitgedanke der Schau nicht in der Praxis funktioniert.

Denn eigentlich sollte die ganze Ausstellung wie ein einziger, großer Körper wirken, als Gesamtkunstorganismus. Doch die Körperteile, sie fügen sich mitnichten. So bleibt das Ganze zwar Stückwerk. Aber die einzelnen Glieder, sie funktionieren da und dort doch ganz wunderbar. Thomas Wolff

„Close Up“, Gruppenausstellung mit Arbeiten von Gundula Schulze, Hunter Reynolds, Mark Hipper, Andreas Seitzer, Johannes Kahrs, Josef Felix Müller, Ulrich Heinke, Christoph Bannat, Harun Farocki und Susanne Weirich; bis 19. März, Städtische Galerie, Buntentorsteinweg 112