Feuer und Flamme fürs Klo

■ Drei Jahre Haft im Prozeß gegen einen Brandstifter / Das Berliner Landgericht blieb mit seiner Entscheidung weit unter dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft

„Wie kommt man dazu, Feuer in Toiletten zu legen?“ fragte der Vorsitzende den 32jährigen Herbert M., der sich gestern wegen Brandstiftung vor dem Landgericht verantworten mußte. In 22 Fällen, so die Anklage, soll der arbeitslose Maler in Zügen der Bundesbahn und im Hauptgebäude des Flughafens Tegel Feuer gelegt haben. Bei der Verlesung der Anklageschrift wurde deutlich, daß der Angeklagte eine geradezu manische Vorliebe für das Abfackeln von Toilettendeckeln zu haben schien. So war es fast eine Wohltat, als der Staatsanwalt nach Aufzählung der unzähligen Klosettdeckel von einer Leuchtstoffröhrenverkleidung berichtete, die ebenfalls der pyromanischen Veranlagung des Herbert M. zum Opfer fiel.

Während sich die Besucher nur mit Mühe ein Feixen verkneifen konnten, bemühte sich Richter Föhrigt, den wortkargen Angeklagten zu einer Erklärung seiner Taten zu bewegen. „Wollten sie verhindern, daß andere Leute nach ihnen die Toilette benutzen?“ Doch der Mann mit schwarzem Schnauzer und langen Haaren antwortete nur mit: „Eigentlich nicht.“ – „Haben sie nicht mal geguckt, was passierte, nachdem sie in der Zugtoilette Feuer gelegt haben?“ will der Richter wissen. „Eigentlich nicht“, engegnete der Angeklagte. „Was heißt eigentlich ,eigentlich‘? Sie haben also ein bißchen geguckt?“ fragte der Richter. „Nö, eigentlich nicht.“

Neben den Brandstiftungen in Toiletten von Nahverkehrszügen und im Flughafen warf die Staatsanwaltschaft dem Mann vor, vier weitere Brände in einem unbewohnten Haus in der Berliner Straße gelegt zu haben. Der Mann bestritt keine der ihm zur Last gelegten Zündeleien.

Der als psychiatrischer Gutachter geladene Nervenarzt Wilfried Piecha von der Karl-Bonhoeffer- Nervenklinik erläuterte dem Gericht, warum der Angeklagte aus seiner Sicht trotzdem kein Pyromane sei. Ihm fehle die für klassische Pyromanen typische Anspannung, die sich nur durch lodernde Flammen entladen könne. Bei dem Angeklagten indes fehle völlig der Drang des zündelnden Triebtäters, sich die gelegten Brände anzugucken und Befriedigung aus ihnen zu ziehen. „Er guckte sich's nicht mal an“, erläuterte der Gutachter. Bei Herbert M. handele es sich um eine unausgereifte, zur Selbstunsicherheit neigende Persönlichkeit, deren Kehrseite ein jungenhaftes, destruktives Verhalten sei, daß sich eher zufällig in Brandstiftung äußere, führte der Nervendoktor weiter aus. Dies geschehe insbesondere dann, wenn Herbert K. Alkohol konsumiere.

Als Einzelkind unter ungünstigen familiären Verhältnissen großgeworden, habe der Beschuldigte eine geringere Intelligenz und befinde sich von seiner Persönlichkeit her auf der Stufe eines Jugendlichen. Alles in allem, so das Fazit, sei diese scheue „Quasi-Persönlichkeit“ kein Fall für die Psychiatrie. Deshalb komme eine Unterbringung nach Paragraph 63 StGB für Herbert M. nicht in Frage. Dieser Paragraph regelt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn ein Täter als „für die Allgemeinheit gefährlich“ eingestuft wird.

Da Herbert M. bereits zweimal wegen Zündeleien und Mißbrauch von Notrufanlagen vor Gericht stand und auch schon achtzehn Monate im Knast saß, wollte der Richter von dem Gutachter sehr genau wissen, wie er dem Mann helfen könne, von diesem Brandstiftertrip runter zu kommen. Es könne ja wohl nicht sein, daß er den Angeklagten einsperre und dieser nach seiner Entlassung wieder mit der Zündelei anfange. Der Gutachter empfahl, dem Angeklagten einen guten Sozialarbeiter und Bewährungshelfer zu besorgen.

Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren, weil es sich bei Herbert M. um einen gefährlichen Kriminellen handele. Die Kammer folgte indes dem Appell des Verteidigers und verurteilte Herbert M. zu einer Strafe von drei Jahren. Außerdem rügte der Richter: den Staatsanwalt für die Bezeichnung des Angeklagten als „gefährlichen Kriminellen“. Hiervon könne nun wirklich nicht die Rede sein. Nach Verbüßung der Haft soll dem Mann eine fünfjährige Führungsaufsicht helfen, nicht wieder zündeln zu gehen. „Ich hoffe wirklich, daß dem Angeklagten nicht bloß ein Führungsaufsichtsbürokrat zugeordnet wird“, sagte Richter Föhrigt nach der Urteilsverkündung. Föhrigt ist neben seiner Richtertätigkeit übrigens auch Dozent an der Fachhochschule für Verwaltung und Recht. Seine Studenten im Zuschauerraum waren mit ihm an diesem Tag sichtlich zufrieden. Peter Lerch