Man verläßt das Kino und möchte in den nächsten Zug steigen

■ betr.: „Mäusleinhaft schwere Ju gend“, („Before Sunrise“ von Ri chard Linklater), taz vom 15. 2. 95

„Irgendwann liegen sie dann doch übereinander ...“ – liegen sie? Es bleibt offen und ist auch gar nicht wichtig. Der Film braucht keine Sexszene, um wachsende Intimität zu zeigen. Die Natürlichkeit im Spiel der beiden Akteure, die bisweilen zu improvisieren scheinen, gibt dem Film eine atemberaubende Authentizität.

Immer wieder finden die beiden Protagonisten phantasievoll spielerische Wege, ihre Schüchternheit zu umgehen und sich einander mitzuteilen. Die sensible, mal zurückhaltende, mal direkte Art der Annäherung ist von bestechender Reife. Das „Kichern, die zwei Blicke“ und die pubertäre „Pausbäckigkeit“ muß der taz-Autor wohl selbst mit ins Kino gebracht haben. Damit ist es hier nicht getan und hat es nichts zu tun.

Das Reden, Vortasten und die wachsende Zuneigung sind keineswegs die billigere Alternative zum „Orgasmieren in einer Absteige“. Die Intensität des Augenblicks läßt keinen Raum für banale Spekulationen wie die „Tun-sie's-oder tun-sie's-nicht“-Frage. Wie so oft ist es der Weg, der fasziniert, denn das Ziel bleibt offen. Auch geht es nicht nur um eine – die junge – Generation. Immer sind auch die älterern präsent: real – das streitende Ehepaar – oder in Erzählungen von Elternhaus und Großeltern. Ständig sind die jungen Leute, für deren Beisammensein es kein Morgen gibt, mit ihrer Zukunft konfrontiert, beschwören sie selbst immer wieder herauf, um an ihrer Schicksalhaftigkeit zu rütteln.

„Before Sunrise“ erzählte ohne Kitsch, Pomp, Sex und Sonnenaufgang (sic!) eine wunderschön romantische Begegnung, in ihrer Unvorhersehbarkeit so authentisch, daß man das Kino verläßt und in den nächsten Zug steigen möchte! Tanja Wundrich