: Gitarrenglissandi, Silberregen
■ Nervensägen aus dem Probenkeller: Jeff Buckley und seine Jungs in Berlin
Man weiß ja nie. Vielleicht hat es gar nichts zu bedeuten, daß die jungen Männer an den Saiteninstrumenten, die den ebenfalls jungen Jeff Buckley begleiten, ihm gleichen, mit ihren breiten Wangenknochen, unauffällig sauber geschnitzten Gesichtern, nicht ganz schulterlangen Haaren. Und der zweite Gitarrist hat sich sogar das gleiche schmale, fast unsichtbare Oberlippenbärtchen stehenlassen. Für Feinheiten wie diese habe ich immer mein Fernglas dabei. Das war in diesem Fall unnötig: Das Spiel sah nicht anders aus, als es aus den Lautsprechern kam, und es klang nicht anders, als es aussah.
Jeff Buckley ist vielleicht kein fake, aber gehypt ist er allemal. Er ist ein Songwriter, das bringt Punkte in der Rubrik „ehrlich“. Jeder Song hat ein aufwendiges Intro, Gitarrenglissandi, Silberregen. Dann trägt ein Baßlauf das Motiv in den bestellten Viervierteltakt. Später gibt es dann noch kleine Überreste, die auffällig nicht aufgehen und größere Unterbrechungen, die man gern fälschlicherweise für das Ende eines Songs hält. Hauptsächlich ist er Rockmusiker, sonst wäre er mit der Einfalt eines solchen Quartetts nicht zufrieden und hätte ein wenig Gefühl für die leise Komik, die in den Arabesken seiner Stimme liegt.
Buckley, der nun nicht mehr viel jünger ist als sein genialischer Musikervater, als er starb, hat sich eigentlich noch nicht entschieden, was er sein will. Weder ist er ein richtiger Solist, dessen Können von der Begleitcombo aufs Silbertablett gehoben wird – dafür ist der Sound zu allgemein „independent“, krude, vermüllt. Noch ist er ein richtiger Bandleader, der mit den anderen Musikern in Dialoge hineingerät, die – wie bei allen guten Bands – aus Konkurrenz gespeist sind. In der Abteilung Beschwörung und Schimmelpilzmagie sind alle Bands bei 4 AD (wo Buckley auch anfing) besser. In der Abteilung Gitarrensoli bis zum Abwinken kann fast jede lokale Band konkurrieren. Und wenn es um die Verstrickung von Songs in metallische Felder geht – um die abstrakte Dimension phallischen Rocks – ist Neil Young ein unvergleichlich überlegenes Vorbild. Diese Zeile „Listen to me, I can't see clearly“ ist dann schon die unfreiwillige Quintessenz dessen, was uns die Plattenindustrie als letzte Entdeckung des Handgemachten andrehen will. Man muß Buckley allerdings zugute halten, daß er die Rolle des guten Kerls, der keinen Zwischenruf unbeantwortet läßt, wirklich durchhält. Er ist nicht einfach ein ekliger PR-Fritze wie Lenny Kravitz, der die Aura einer gewachsenen Musiksparte kalt abschöpft. Buckley und seine Jungs sind die Nervensägen aus dem Probekeller nebenan. Aber die Beherrschung des Vibratos im Kopfstimmenbereich ist nicht genug, um dauerhaft vor ein paar hundert Leuten zu bestehen. Das Publikum ist ironischer gestimmt als die Band.
Jeff Buckleys irisierende Fassung von Leonard Cohens „Hallelujah“, solo vorgetragen, läßt ein bißchen Hoffnung aufkommen. Aber der Rest der Debut-Studio-LP „Grace“ wird mit jener Routine vorgetragen, die immer entsteht, wenn Musiker sich beim Spiel in entscheidenden Momenten nicht in die Augen sehen. Das Spektrum, auf dem diese New Yorker Band einen Abend lang herumreitet, ist reichlich schmal und macht schnell wund. Ulf Erdmann Ziegler
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