Eine blühende Zukunft

Neues Nordirland-Dokument vorgelegt: Gesamtirische Behörde und nordirisches Parlament  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Niemand habe von dem Dokument etwas zu befürchten, betonte der irische Premierminister John Bruton gestern, nachdem er in Belfast gemeinsam mit seinem britischen Amtskollegen John Major den Rahmenplan für eine politische Lösung des Nordirlandkonflikts vorgelegt hatte. Das neue Papier ist die Fortschreibung der sogenannten Downing-Street-Erklärung vom Dezember 1993, in der Major und der damaligen irische Premier Albert Reynolds eine politische Lösung des Nordirland- Konfliktes vorgeschlagen hatten. Im September des vergangenen Jahres hatte zunächst die Irisch- Republikanische Armee (IRA) einen Waffenstillstand ausgerufen, dem sich einige Wochen später auch die pro-britischen Paramilitärs anschlossen.

In seiner Rede von gestern beschwor Major die VertreterInnen der nordirischen Parteien, nicht voreilig über das neue Papier zu urteilen. Durch gezielte Indiskretionen waren Anfang des Monats verschiedene Punkte des Papiers bekanntgeworden und hatten im unionistischen Lager für erhebliche Unruhe gesorgt. Dabei ging es vor allem um die Einrichtung von gesamtirischen Institutionen. In dem nun veröffentlichten Rahmenplan heißt es, daß diese Institutionen einem nordirischen Regionalparlament sowie dem irischen Parlament in Dublin rechenschaftspflichtig sein sollen. Als mögliche Bereiche für eine Zusammenarbeit werden Tourismus, Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft, Handel und Energie genannt.

Sowohl Major als auch Bruton wiesen immer wieder darauf hin, daß eine solche Kooperation auf dem Einverständnis aller Beteiligten basieren müsse. Major sicherte den Unionisten erneut ein dreifaches Vetorecht zu: Sämtliche Ergebnisse müssen zunächst von den unionistischen Parteien, danach per Referendum und schließlich von dem neuen nordirischen Regionalparlament abgesegnet werden. „Ich bin ein Unionist, ich will eine blühende Zukunft für die Unionisten“, sagte Major, „es kann keine Veränderungen ohne die Zustimmung der Unionisten geben.“

Um der nationalistischen Bevölkerungsminderheit Nordirlands das anglo-irische Papier schmackhaft zu machen, ist darin vom „Recht des irischen Volkes auf Selbstbestimmung“ die Rede, das allerdings nur mit unionistischer Zustimmung unzusetzen ist. Außerdem bleibt das „Geburtsrecht“ bestehen: Wer in Nordirland geboren ist, hat Anspruch auf die irische Staatsbürgerschaft. Und Bruton besänftige seine eigene nationalistische Klientel mit der Formel, Großbritannien habe kein „egoistisches Interesse an Nordirland“. Das Gesetz von 1920, das die Einbindung der Provinz ins Vereinigte Königreich regelt, soll entsprechend abgeändert werden. Im Gegenzug will die irische Regierung eine Verfassungsänderung durchsetzen, wodurch der Anspruch auf Nordirland aufgegeben werden soll. Das ist jedoch nur durch eine Volksabstimmung möglich, die in der Republik Irland sehr umstritten ist. Um einen Konflikt bereits im Vorfeld zu vermeiden, hat Bruton den Text des Referendums noch nicht veröffentlicht.

Zum Schluß der Pressekonferenz wiesen die beiden Regierungschefs noch einmal auf den ersten Absatz des Papiers hin, das insgesamt 58 Paragraphen umfaßt. Darin heißt es, daß es sich dabei lediglich um einen Vorschlag handelt, den man den nordirischen Parteien freilich sehr ans Herz lege. „Wem er nicht paßt, soll etwas besseres vorlegen“, sagte Major.

Eine halbe Stunde später fand eine zweite Pressekonferenz statt: Major legte die britischen Pläne für ein nordirisches Regionalparlament vor. Das hatte es schon einmal gegeben – 1972 wurde es aufgrund der Eskalation der Gewalt aufgelöst. Seitdem wird Nordirland von London aus regiert. Das neue Parlament soll aus 90 Abgeordneten bestehen, die nach dem Prinzip der proportionalen Repräsentation für vier oder fünf Jahre gewählt werden. Das Parlament wird nicht das Recht haben, Steuern zu erheben, und auch die Sicherheitspolitik ist Sache Londons, solange die britische Armee in Nordirland stationiert ist.

Mit dem Regionalparlament hat Major einer langjährigen Forderung der Unionisten nachgegeben, die das als Chance begreifen, ihre Vormachtstellung zu festigen. Die größte nordirische Partei, die Ulster Unionist Party, hatte am Dienstag ihre eigenen Vorstellungen von der Zukunft in Nordirland veröffentlicht: Der anglo-irische Rahmenplan solle vorerst auf Eis gelegt werden, bis ein „Interims-Regionalparlament“ das Vertrauen aller Parteien erworben habe. Erst dann könne man über Absprachen mit der Dubliner Regierung verhandeln. Das unionistische Papier schließt mit der düsteren Prognose, daß „das Volk von Nordirland dazu verurteilt“ sein könne, „weitere zehn Jahre Unsicherheit und unvermeidlicher Gewalt zu erleiden“. Kommentar Seite 10