Undurchsichtige afghanische Taliban

■ Jüngster UN-Friedensplan – vorerst? – gescheitert

Delhi (taz) – Vielleicht hat UNO-Vermittler Mahmoud Mestiri in den vergangenen Tagen noch geglaubt, daß er die zerstrittenen Kriegsherren in Afghanistan dieses Mal tatsächlich zu einem Kompromiß bewegen könnte. Das plötzliche Auftauchen einer neuen militärischen Kraft, die islamistische Taliban-Truppe, machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung. Anstatt wie vorgesehen am 20. Februar hofft er nun, daß der afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani am 21. März die Macht abgibt. Der bisherige Vermittlungsplan sah die Einsetzung eines Übergangsrates vor, dessen 25 bis 30 Mitglieder von den neun Mudschaheddin-Gruppen bestimmt und durch einige neutrale Persönlichkeiten ergänzt werden sollte. Ihre erste Aufgabe wäre die Vorbereitung allgemeiner Wahlen gewesen.

Der UNO-Vermittler sagte gestern in Kabul, die Zusammensetzung des Übergangsrates müsse wieder neu verhandelt werden.

Die vor den Toren der Stadt campierenden Taliban-Kämpfer haben sich gegenüber Mestiri grundsätzlich zu einer friedlichen Lösung bereit erklärt – stellten aber gleichzeitig hochgeschraubte Bedingungen: die Mitglieder der Kommission sollten nicht die Bürgerkriegsparteien, sondern die dreißig Provinzen Afghanistans vertreten. Nur „gute Muslime“ sollten in der Kommission vertreten sein. Und neben der politischen Kommission sollte eine neutrale Sicherheitstruppe gebildet werden – für die nur sie selbst, die Taliban, in Frage kämen, da sie keiner der Faktionen angehörten.

Darauf wollten weder Präsident Burhanuddin Rabbani noch sein militärischer Schirmherr Ahmed Shah Massud eingehen. Ihr Sprecher hieß die Taliban in der Kommission willkommen – aber zum gleichen Eintrittspreis, den die anderen bezahlen. Im Gegensatz zu den früher unterworfenen Gruppen des paschtunischen Bevölkerungsteils im Süden des Landes besteht das Gros von Massuds Kämpfern aus Tadschiken, oder es sind Reste der ehemals prosowjetischen Armee, die weder religiös noch ethnisch stark ausgeprägt ist.

Niemand weiß, ob die Taliban eine übergreifende Koalition aller ethnischen und religiösen Gruppen anstreben oder ob ihr Islamismus paschtunische und sunnitische Hegemoniegedanken verbirgt.

Klar scheint, daß sie eine viel striktere Auslegung islamischer Gesetze anstreben. Dazu gehört etwa die Forderung der Taliban nach „guten Muslimen“ in der Kommission – was sich nicht nur in einer koranischen Gesinnung zeigt, sondern bis in Details von Kleidervorschriften und rötlich gefärbten Bärten hinausläuft. Das trifft in erster Linie die in Kabul verbliebene Mittelschicht.

Ob sich dahinter eine antischiitische Spitze verbirgt, ist unklar. Ominös sind in dieser Beziehung Berichte, wonach die extrem sunnitischen Mudschaheddin Rasul Sayyafs von Rabbani zu den Taliban übergelaufen seien. Im Südwesten der Hauptstadt, wo die Frontlinie zwischen schiitischen und sunnitischen Gruppen verläuft, wird Berichten aus Kabul zufolge gekämpft. Auch Taliban-Kämpfer seien in das Rot-Kreuz-Hospital eingeliefert worden.

Bereits am letzten Donnerstag hatte sich der Iran als Schutzherr der Schiiten veranlaßt gesehen, gegen das „Massaker an Kabuls unschuldigen Einwohnern“ zu protestieren. Es gibt aber auch Meldungen, wonach die schiitische Hizbe Wahdat mit den Taliban Verhandlungen führen, die in einen Abzug der Schiiten in ihre Stammesgebiete in Zentralafghanistan münden könnten.

Die Tadschiken Rabbani und Massud geben sich militärisch unnachsichtig, halten sich aber politische Optionen offen. Der Uzbeke Rashid Dostam nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund. Falls ihn die Taliban angreifen würden, ließ er verlauten, würde er einen neuen Staat namens „Süd-Turkmenistan“ ausrufen. Bernard Imhasly