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Geht in die Kindergärten!

■ Suchtprävention für Mädchen soll sich nach Berliner Vorbild in Bremen durchsetzen

Mädchen gehen defensiv in die Sucht: Anders als die Jungs haben sie gelernt, Wut und Haß zurückzuhalten, sie trinken heimlich morgens ihr Glas Sekt, statt abends in der Kneipe groß aufzuspielen. Mädchen sitzen oft in der Ecke und denken über die nächste Diät und über den blöden Körper nach, der auch noch schön aussehen soll. Pillenschlucken, Eßstörungen und versteckter Alkohol- und Drogenkonsum folgen auf dem Fuß.

Das alles sind Erfahrungen aus dem Alltag von Adelheid Krämer von den „Mobilen Teams“ in Berlin. Die Diplom-Pädagogin initiiert dort mehrjährige Mädchenprojekte im außerschulischen Freizeitbereich. Sie wechselt von Bezirk zu Bezirk und versucht so, auf breiter Basis eine geschlechtsspezifische Suchtprävention durchzusetzen. Adelheid Krämer forderte gestern auf der Bremer Fachtagung „Frauen und Sucht“, in der Prävention die Mädchen von den Jungs zu trennen: „Man muß den Mädchen die Chance geben, an Grenzen zu gehen und auch mal darüber hinauszuschießen.“

Prävention für Mädchen ist etwa vor acht Jahren in Deutschland ins Gespräch gekommen, als das Thema sexueller Mißbrauch öffentlich wurde. „Zuerst dachte man, da gehts ja nur um Kinder“, erinnert sich Adelheid Krämer. Erst langsam wurde klar, daß die Passivität von den meist weiblichen Mißbrauchsopfern mit deren defensiver Suchthaltung unmittelbar einhergeht.

In Rollenspielen lockt die Pädagogin in Berlin aus den Mädchen Abenteuerlust, Lust an Sexualität, Spaß am Leben, am Draufgängertum. Die Themen Menstruation und „Das erste Mal“ sind dabei die Renner, und Adelheid Krämers „Flirtschule“ steht in der Beliebtheitsskala der Mädchen ganz oben: „Wie ich am besten den Schwarm auf meine Geburtstagsfete bekomme, interessiert doch schon die Zehnjährigen. So früh wie möglich sollten die Mädchen als feminine, sexuelle Wesen gesehen werden. Überhaupt müßte man eigentlich mit der Mädchenprävention bis ins Kindergartenalter runtergehen.“

Da fehlt es jedoch noch kräftig an öffentlichem Bewußtsein; Suchtprävention für Mädchen steckt auch nach den acht Jahren Berliner Erfahrung in Adelheid Krämers Augen noch in den Kinderschuhen und braucht Aufklärungsarbeit auf der untersten Stufe. In Bremen ist das nicht anders: Der „Arbeitskreis Gesundheit im Bremer Westen“ versuchte zwar bislang, bei Großprojekten für Kinder und Jugendliche immer auch zwei, drei Angebote nur für Mädchen zu machen. „Wir fangen aber jetzt erst an, immer und überall den Blick auf sie zu schärfen“, räumt Gabi Schneider vom Gesundheitstreffpunkt Bremen-West ein.

Daß in einer Gröpelinger Schule auf dem Schulhof erstens nur die Jungs Fußball spielen und zweitens die Mädchen ansonsten überhaupt kein Aggressionsventil haben, dürfe nicht mehr sein. „Lehrerinnen, Sozialpädagoginnen, Erzieherinnen, Trainerinnen, Eltern müssen lernen, daß Körper und Toben angesagt sind“, findet auch Gabi Schneider. „Wir brauchen sie als Multiplikatorinnen, denn mit zwei hauptamtlichen Kräften für die 200.000 Einwohner im Bremer Westen können wir doch nichts ausrichten.“

Von solch langfristigen Projekten wie sie die acht „Mobilen Teams“ in Berlin durchführen – die dort beim Landesjugendamt angesiedelt sind – könne man in Bremen nur träumen. Fortbildungen für diejenigen seien gefragt, die entweder bereits in Mädchenprojekten oder überhaupt im pädagogischen Bereich arbeiten. Es gehe jetzt darum, von seiten der Gesundheitstreffpunkte Mädchenarbeit politisch und inhaltlich zu unterstützen und zu fördern. Denn die Mädchenhäuser müssen nach wie vor als Projekte finanziell ungesichert ihr Dasein fristen. Die Gesundheitstreffpunkte Bremen-West und Bremen-Nord hingegen werden hauptsächlich vom Senator für Gesundheit, Jugend und Soziales getragen und haben ihre Stellung seit ihrer Gründung 1990 gefestigt und gesichert.

sip

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