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Bürgerschaftsmehrheit mißtrauisch

■ SPD-Abweichler verhalfen CDU, FDP, DVU und NK zur Mehrheit beim Mißtrauensvotum

Die CDU kann die Sektkorken knallen lassen. Mit großer Mehrheit hat die Opposition gestern das Mißtrauensvotum gegen den grünen Umweltschutzsenator Ralf Fücks durchbekommen (vgl. S.4). Und nicht nur das. Der CDU ist es gelungen, fünf Abgeordnete aus der SPD herauszubrechen. 54 Abgeordnete stimmten in namentlicher Abstimmung für das Mißtrauensvotum gegen Fücks, 45 dagegen, einer enthielt sich. Zu den fünf SPD-Dissidenten und 30 CDU-Abgeordneten waren 10 FDP-ParlamentarierInnen gekommen, dazu die rechte Sechs aus DVU und National-Konservativer Gruppe. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses erklärte Fücks seinen Austritt aus dem Senat: „Es ist keine Schande, von dieser Mehrheit abgewählt worden zu sein. Jeder, der meine Arbeit in den letzten drei Jahren bewertet, wird wissen, daß ich bis zur Grenze meiner persönlichen Glaubwürdigkeit gerade versucht habe, Brücken zu schlagen zwischen dem ökologischen Auftrag meines Ressorts und den notwendigen ökonomischen Interessen dieses Stadtstaates.“

Vorangegangen war eine Debatte, in der alle Seiten noch einmal das wiederholt hatten, was sie schon Tage vorher immer und immer wieder postuliert hatten. Das Publikum konnte fast mitsingen. Ulrich Nölle für die CDU: „Fücks hat bis heute viel Unheil angerichtet.“ Die grüne Abgeordnete Elisabeth Hackstein: Die Vogelschutz-Anmeldung könne wieder zurückgenommen werden, der Bruch der Ampelkoalition sei eine Inszenierung der FDP. Die FDP mit Fraktionschef Heinrich Welke und dem Abgeordneten Axel Adamietz: Fücks habe die Verfassung gebrochen, als sein Haus an Senat und Parlament vorbei die umstrittenen Flächen bei der EU angemeldet hat. SPD-Fraktionschef Claus Dittbrenner kritisierte einerseits Fücks: „Die Nichtbeteiligung des Senats war ein schwerer Fehler. Es bleibt ein fahler Nachgeschmack.“ Dann aber betonte er, Fücks habe schließlich alles dafür getan, die Anmeldung bei der EU wieder zurückzuholen: „Tätige Reue.“ In eher wirren Reden ließen Hans Altermann für die NK und Marion Blohm für die DVU erkennen, daß sie mit CDU und FDP stimmen würden.

Spannend wurde es, als die Reihe an Klaus Wedemeier kam. Der hielt eine Rede für die mutmaßlichen Abweichler aus seiner eigenen Fraktion. Akribisch setzte der Bürgermeister den Abgeordneten die Feinheiten der EU-Vogelschutzrichtlinie auseinander, ganz auf der Höhe der Aktenlage. Sein Fazit: Die Anmeldung könne sehr wohl zurückgenommn werden. Was die Opposition gesagt habe, „das ist alles heiße Luft, und es zeigt nur, daß man sich nicht in die Sache eingearbeitet hat, bevor man hier redet.“ Und an die Abgeordneten der SPD appellierte Wedemeier: „Niemand sollte denen, denen es nicht um das Wohl Bremens, sondern um das eigene Wohl geht, die Hand reichen.“

Genützt hat es nichts. Nach seinen Kenntnissen sei die Anmeldung nicht wieder zurückzuholen, widersprach Reinhard Barsuhn für die SPD-Abweichlerriege dem Bürgermeister. Er werde Fücks das Mißtrauen aussprechen. Und genau das war es, was die SPD-Fraktion noch den ganzen Tag lang beschäftigte. „Mich enttäuscht das menschlich“, kommentierte Klaus Wedemeier nach der Abstimmung. „Reinhard Barsuhn hat seine vorformulierte Rede gehalten. Er ist gar nicht drauf eingegangen, was ich gesagt habe.“

Der offene Bruch der Abgeordneten Ilse Lakmann, Peter Sakuth, Reinhard Barsuhn, Wolfgang Kahrs und Dieter Wilhelmi mit der Mehrheit der Fraktion und mit dem Spitzenkandidaten Wedemeier hat die Fraktion erschüttert. (vgl. „Nachgefragt“ S. 22). „Eine politische Niederlage“, kommentierten viele Abgeordnete. Aber es war nicht nur der innerparteiliche Zerbröselungsprozeß, der sie ins sozialdemokratische Mark getroffen hat. Die fünf haben in dieser wichtigen Entscheidung mit DVU und NK gestimmt, das schmerzt vor allem die Seele.

Tränen gab es nicht allein bei der SPD, die gab es auch bei den Grünen. „Aber wir haben wenigstens einen guten Abgang gehabt“, sagte die Fraktionssprecherin Elisabeth Hackstein. „Eine ehrenwerte Niederlage“, komentierte auch Martin Thomas. „Jetzt kommt es darauf an, am 14. Mai ein gutes Ergebnis hinzukriegen.“

Unmittelbar nach der Abstimmung haben sich Grüne und SPD verständigt, daß das verwaiste Umweltressort vorerst in grüner Hand bleibt. Kultursenatorin Helga Trüpel wird die Leitung kommissarisch übernehmen, allerdings nur bis Mitte März. Anfang April soll der Trüpelsche Nachwuchs kommen. Dann werden bis zur Wahl Bildungssenator Scherf das Kulrurressort und Bausenatorin Lemke-Schulte das Umweltressort übernehmen. Die beiden Staatsräte bleiben im Amt. Jochen Grabler

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