Sanssouci: Nachschlag
■ Warum sich die Rheinländer zur Karnevalszeit quälen
D'r Zoch kütt! Mein Kinderherz tat einen Sprung bei diesem Ruf. Die bunten Wagen wälzten sich durch den Regen heran, die Erwachsenen drängelten. Dann hallte die wummernde Blechmusik dumpf in meinem Magen wider, und schmerzhaft prasselten harte Kamelle auf meine Schädeldecke. Die größeren Kinder schnappten sie mir weg. Ich ging heulend nach Hause und wußte: Karnevalszüge machen keinen Spaß. Später durfte ich abends fernsehen und bemerkte, daß Prunksitzungen auch keinen Spaß machen. Jede Menge schmerbäuchiger Männer und frühverwelkter Blondinen strengen sich da furchtbar an, so zu tun, als ob sie sich amüsierten. Sie grinsen verzerrt in die Kameras, schwitzen, und wer zusammenklappt, wird von schunkelnden Nachbarinnen fester eingehakt und gebützt. Alaaf! Klatschmarsch!
Warum tun Menschen so etwas? „Der Kampf gegen Griesgram und Muckertum geht weiter!“ frohlockt der Lokalreporter am nächsten Tag. „Die Tollitäten und die knatschverdötschten Jecken im Saal wurden zum Mitklatschen animiert. Die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt, als Kaplan xy in die Bütt stieg und die Lachmuskeln des närrischen Völkchens strapazierte.“ Solche und ähnliche Reportagen erscheinen alle Jahre wieder, zum Beispiel im Bonner General-Anzeiger. Namen und Fotos sind selbstredend aktuell, die Formulierungen bleiben stets dieselben. Die Leser genießen also Schunkelsicherheit: Sie können sich darauf verlassen, daß wie gestern und wie vor zehn Jahren auch auf allen zukünftigen Prunksitzungen „ausgelassenes Treiben“ herrschen wird. Alles Leiden und Schwitzen auf der realen Sitzung, alles Frieren und Drängeln beim just vorbeimarschierenden „Zoch“ wäre also unwichtig, flüchtig, kontingent? Erinnerung und Hoffnung aber dafür in alle Ewigkeit übergoldet vom reinen „Spaß an d'r Freud“?
Ach was. Die Lokalzeitung in Ehren, aber so idealistisch denkt der Rheinländer einfach nicht. Die Wahrheit ist banal. Lange habe ich gegrübelt, warum ich und die anderen zugereisten Beamtenkinder beim Karneval nie so recht mittun mochten. Hätte uns Protestanten die Mühsal beim Klatschen und Marschieren nicht zusagen müssen? Eben nicht, weil nämlich unsere protestantische Ethik nicht richtig entwickelt war. Genauso kirchenfern sind aber inzwischen auch die Katholiken. Und daran liegt's: Das katholische Rheinland fastet nicht nur freitags nicht, auch nach Aschermittwoch wird munter weiter gefuttert. Es fehlt also die Qual, der althergebrachte Leidensdruck. Und weil von dem alten Ritual nur der Karneval übriggeblieben ist, der es früher einläutete, wird heutzutage eben rosenmontags gelitten. Die Spaßgesellschaft herrscht das ganze Jahr, zu Karneval kasteit man sich. Miriam Hoffmeyer
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