Von klein auf

■ Kindliches Sammeln und Sortieren: Ein Projekt der Bundeskunsthalle Bonn

Es gibt Dinge, mit denen kann man gar nicht früh genug anfangen. Mit dem Sammeln zum Beispiel. Wer erinnert sich nicht wehmütig jener Tage, als unterm Bett die Zigarrenkisten überquollen von ausgerissenen Sondermarken aus Tansania, San Marino oder mit dem Aufdruck „Deutsche Bundespost Berlin“. Doch wie sortierte man eigentlich das wachsende Durcheinander? Bei den Bierdeckeln ging das ja noch ganz einfach: eine Schachtel für die runden, eine für die eckigen, na ja, und dann noch eine für die wertvollen – Guinness vielleicht oder Kilkenny.

Schwieriger wurde das schon nach den ersten naturkundlichen Expeditionen während der Sommerurlaube an der Nordsee. Wohin mit den säckeweise heimgeschleppten Muscheln, Schnecken und dem Stück Treibholz, das so schön rund geschliffen war, daß es bestimmt seit der Karbonzeit im Wasser gelegen haben mußte – mindestens. Nicht zu vergessen dieses matte, unförmige bißchen Gelb namens Bernstein! Mangels Finderglück wurde das gute Stück zwar meistens nach endlosem Betteln von den genervten Eltern in einem Andenkenladen gekauft, trug aber zu Hause entschieden zur Wertsteigerung der eigenen Naturaliensammlung bei.

Wehe, wenn davon etwas beim mütterlichen Aufräumen verlustig ging, gar vorsätzlich weggeworfen wurde! In der Obstkiste unter dem Bett gab es nichts Überflüssiges!! Nicht den ausgetrockneten Chitinpanzer des Borkenkäfers, nicht den von der Böschung an der Müllkippe gepflückten Schachtelhalm und nicht dieses Monstrum von einem Tannenzapfen aus dem oberen Fichtelgebirge. Schließlich gedeiht die Erdgeschichte durchaus im Detail und das Staunen darüber auch. So gesehen ist jedes Kinderzimmer ein Museum. Ist heimliches Labor, Hort und Magazin zugleich für den frühen Forscherdrang und dessen gewissermaßen pubertären Positivismus, dem die Fossilienspuren aus dem nahen Steinbruch gleich wertvoll erscheinen wie der Plastiksaurier aus dem Spielzeugladen.

Das hat die pädagogische Abteilung in der Bonner Bundeskunsthalle positiv erkannt. Und hat – aus Anlaß einer Ausstellung zur Geschichte des Sammelns und Ausstellens – dem frühen Sammeltrieb nicht nur einen eigenen Raum eingeräumt, sondern damit auch den Versuch verbunden, Kindern und Jugendlichen (gerne ganzen Schulklassen) zu erklären, wie das Sammeln in einem Museum eigentlich funktioniert. Und daß dazu mehr gehört, als irgendein Ding zum Bestaunen an irgendeinem Ort abzustellen.

Während man also vorne, in einem Saal vom Format eines monumentalen Schuhkartons, die älteren Artificialia und Naturalia europäischen Forscher- und Entdeckerdrangs in mattgrauen und hölzern-historisierenden Vitrinen zu jener „Wunderkammer des Abendlandes“ zusammengeschoben hat, durften die Jüngeren in einem Hinterstübchen ihr eigenes Museum erstellen und dabei das Ordnen und Beschreiben, das Rubrizieren und Klassifizieren üben. Nach vier Kategorien sortiert, konnte jeder „Leihgeber“ sein mitgebrachtes Objekt in einem der vorgesehenen Glasschränke verstauen, mit einem Nümmerchen versehen und auf einer Inventarkarte eintragen, nebst krakeliger oder schönschriftlicher Beantwortung der Fragen: Woher kommt dein Sammlungsstück? Was ist es? Wie alt ist es etwa?

Merkwürdigerweise zeigte sich kein prinzipieller Unterschied zwischen dem musealen Sammeln der Kleinen und der Großen. In der Kategorie „Fremd–Kurios–Seltsam“ figuriert neben der Felltrommel und dem japanischen Schirm auch ein „Terminator mit Maschine“, jene Phantasie vom künstlichen Geschöpf also, dessen mehr oder weniger gelungenen Verfertigungen schon in den frühen Kunst- und Wunderkammern ein Ehrenplatz zugewiesen wurde. Während in der Abteilung „Natur–Wissenschaft–Technik“ die obligaten Rennwagen-, Raumschiff- und Flugzeugmodelle die Archäologie des motorisierten Fortschritts en miniature betreiben, wird unter „Kostbar–Schön–Alt“ vor allem Kunsthandwerkliches geboten: das samtene Etui mit den silbernen Mokkalöffelchen etwa oder die Gemmen des kaiserlich-großväterlichen Heldenalters.

Nur die eigens eingeführte Rubrik „Wovon nur ich etwas weiß“ fällt etwas aus dem Rahmen und wurde – wen wundert's – zu einem Kontakthof der Kuscheltiere. Nylon-Barbie und Aufziehpuppe, Rosa Panther und Stoffhase sagen sich hier gute Nacht, während gegenüber, sozusagen als kokette Referenz an das Kunstmuseum, ein in Goldplaste gerahmtes Gondelrelief der Seufzerbrücke prunkt (20.Jahrhundert, venezianisch-taiwanesische Canaletto-Schule). Aber bestätigt nicht auch diese (irgendwie eingeschmuggelt wirkende) „elektrisch glorifizierbare Vedute“ letztlich die Erkenntnis, daß wir nur das sehen, wovon wir auch wissen? Von klein auf. Thomas Fechner-Smarsly

Aktion „Wundern und Sammeln“ für Kinder und Jugendliche. Parallel zur Ausstellung „Wunderkammer des Abendlandes“, Bundeskunsthalle Bonn. Bis 26. Februar