„Sich nicht einen PDS-Autismus verordnen“

■ Der Berliner Vorständler von Bündnis 90/Grüne, Michael Haberkorn, will das Magdeburger Modell notfalls in Berlin erproben / Bündnispolitiker drohen mit Spaltung

Anfang April befindet der Landesverband Berlin des Bündnis 90/ Die Grünen darüber, ob er nach den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst eine Regierungsbeteiligung auch mit Unterstützung der PDS anstrebt. Aus den Reihen der Bürgerbewegung wurden bereits massive Vorbehalte dagegen laut, es wurde gar vor einem Bruch der Partei gewarnt. Michael Haberkorn, Vorstandsmitglied des Berliner Bündnis 90/ Grüne, bezieht trotzdem die PDS in Bündnisüberlegungen ein und formulierte einen entsprechenden Antrag, der auf der Landesdelegiertenkonferenz im April abgestimmt werden soll.

taz: Sie plädieren für Sondierungsgespräche mit der PDS, falls die Abgeordnetenhauswahlen im Herbst keine rechnerische Mehrheit für Rot-Grün ergeben. Was wollen Sie sondieren?

Haberkorn: Bündnis 90/ Die Grünen sollte sich nicht wie die SPD einen PDS-Autismus verordnen. Wir dürfen uns nicht vorab schon handlungsunfähig machen, sondern müssen flexibel reagieren können, falls einem rot-grünen Bündnis wenige Stimmen zur Regierungsmehrheit fehlen. Wir sollten in einem solchen Fall mit der PDS Sondierungsgespräche führen, um Bündnismöglichkeiten ausloten zu können.

Die Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Kerstin Müller, hält die PDS für „prinzipiell koalitionsfähig“.

Die PDS sollte notfalls in Bündnisoptionen einbezogen werden. Entscheidend ist aber, was mit ihr inhaltlich verhandelt werden kann und wie verbindlich sie für Mehrheiten sorgen will.

Eine Koalition schließen Sie nicht aus?

Wenn sie sich nicht vermeiden läßt, würde ich sie nicht ausschließen.

Die Berliner SPD hat bereits kategorisch erklärt, daß eine Regierungsbildung mit Unterstützung der PDS nicht in Frage käme. Welchen Nutzen haben da noch Sondierungsgespräche?

Wir Bündnisgrüne sind autonom genug, unabhängig von der SPD Vorschläge zu erarbeiten, wie eine Regierungsmehrheit gegen die CDU zustande kommen könnte. Wir nehmen damit unsere Verantwortung wahr, die SPD soll dann die ihre erklären.

Der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz hat für den Fall, daß Bündnis 90/ Die Grünen in Berlin eine Regierungsbeteiligung mit Hilfe der PDS anstrebt, gedroht, dies sei ein Bruch des Konsenses zwischen Bündnis 90 und Grünen. Ähnlich haben sich zuvor die Bundestagsabgeordneten Gerd Poppe und Vera Lengsfeld geäußert.

Ich fand es noch nie sonderlich glücklich, Überzeugungsarbeit per Austrittsdrohung leisten zu wollen. Bündnisgrüne Politik hat nichts Statisches, ein früherer Konsens mit den Bürgerrechtlern, mit der PDS keine Politik zu machen, muß sich auch überprüfen lassen dürfen.

Sie nehmen also eine Spaltung der Partei in Kauf?

Ich verlange die Bereitschaft von allen Mitgliedern, zum Gesamtanliegen der Partei, z.B. die Große Koalition abzulösen, beizutragen. Ich kann zwar nachvollziehen, daß es genug persönliche Gründe geben mag, eine Abstinenz gegenüber der PDS aufrechtzuerhalten. Aber die Abstinenzler müssen über ihren Tellerrand hinaus sehen, was die Partei zu leisten hat. Die Beschränkung auf die Nicht-Zusammenarbeit mit der PDS ist ein zu dürftiger Rahmen.

Für die eben benannten Mitglieder der Bürgerbewegung ist die PDS die Nachfolgepartei der SED, was ist sie in Ihren Augen?

Das selbe; aber sie ist ebenso eine Partei die einen großen Teil der Ostberliner repräsentiert, die nicht per se undemokratisch sind, die eine Reihe von sinnvollen sozialen und stadtpolitischen Veränderungen wollen. Die PDS ist eine Partei, die ins demokratische Parteienspektrum gehört und nicht auszugrenzen ist – und so will ich sie auch behandeln.

Auch die personelle Kontinuität, die die PDS gegenüber dem ehemaligen Regime der DDR wahrt? Ist dies in Ihren Augen vernachlässigbar?

Die ist sehr diskussionswürdig. Ich würde es auch nicht für sinnvoll erachten, wenn die PDS solche Personen anbieten würde. Wir müssen es der PDS überlassen, welche auch personellen Konsequenzen sie aus der internen Reformdiskussion zieht, die sie zur Zeit führt. Wir werden uns das Ergebnis im Herbst anschauen.

Rechnen Sie innerhalb der eigenen Partei mit einer Mehrheit für Ihren Antrag?

Ich halte eine Mehrheit nicht für ausgeschlossen. Interview: Dieter Rulff