■ Menschen gegen Tiere gegen Tiere gegen Menschen: Herzblut für die Kreatur
Dortmund (taz) – Einmal im Jahr trifft sich zehntausendfach die Zunft der Jägersleute in Dortmunds Messehallen. Zum Fressen und zum Saufen. Zum Waffenstaunen und zum Wichtigsein. Der Pflichttermin der Grünzeugträger gilt der Messe „Jagd und Hund“. Hier machen die Hundeherren nicht wie üblich Halali, sondern kräftig Halligalli. Hirschlederhemden, waschbar, 498 DM, verleiten zur Schnäppchenjagd. Gepriesen wird das „drive by shooting“ in Südafrika, die Abschußgarantie auf exotisches Getier wie Nyla oder Antilope ist dort für lizensierte Schützen schon ab 300 DM pro Tag zu haben.
Küchenmeister Josefs Hirschrückenschnitte mit Brombeersoße ist dagegen für auserwählte Hobbykiller kostenlos. Und die Jägersippe Veltins kredenzt ihr Brauereierzeugnis Gleichgesinnten zum Vorzugspreis. Folglich spricht man an der Tränke dem Gebräu im Rudel zu, schnell haben die Jäger einen im Tee. Ihre groben westfälischen Bauerngesichter, gekrönt von Kinn- oder Backenbart, glänzen jetzt feist vor Männlichkeit. In Lodenjankern und Schottenröcken schlendern breithüftige Weibsbilder durch die Budengassen. Reflexhaft balzen halbstarke Jungmänner wie vor der Tenne beim Scheunenfest. Dumpf röhrt der Hirsch in allen Köpfen. „Jäger sind die größte praktizierende Naturschutzgruppe des Landes“, behauptet Freiherr Heereman, Präsident des nordrhein-westfälischen Jagdverbandes.
Mit Gattern von den Jägern ferngehalten, zitieren Tierrechtsaktivisten auf ihrer verregneten Demo den verstorbenen Bundespräsidenten Heuss: „Die Jägerei ist eine Nebenform menschlicher Geisteskrankheit“, wußte das Staatsoberhaupt. „Jäger sind Mörder“, schallt es den in geländegängigem Schuhwerk vorbeieilenden Grünröcken lautstark entgegen. „Jäger, wir warnen euch – wir schießen zurück“, ist ein Flugblatt der alternativen Tierschützer „Ratten“ betitelt, die sich in Essen treffen. Zurückgeschossen haben die „Ratten“ etwa im Münsterland anläßlich einer Treibjagd auf Fasane. Mit Blitzlichtfotos „jede Menge, von allen Seiten und in jeder Situation“. Während des Blitzlichtgewitters verwechselten die erhitzten Nimrods aber Selbstjustiz mit Nemesis, drei Mann schlugen eine „Rättin“ mit Gewehrkolben zu Boden und stahlen ihre Kamera.
Zu dergleichen Waidgerechtigkeit neigen die Hobbykiller fast ausnahmslos: Die Jagdgegner im Revier wissen von kaum einer gewaltfrei angelegten Jagdstörung zu berichten, bei der die Jäger nicht über sie herfielen. Dabei riskieren die Jagdsaboteure außer gefährlichen Körperverletzungen auch Lebensgefahren. Denn obwohl sich die Tierfreunde, um die Jagd zu verhindern, zwischen Jäger und Gejagtem stellen, wird die Ballerei nicht immer eingestellt. „Völlig rechtswidrig“, nennt der Essener Rechtsanwalt Ralf Hilgers, der Tierrechtler verteidigt, diese Praxis. „Wenn Jäger Unbeteiligte sichten, ist die Jagd sofort abzubrechen.“ Aber nicht nur die „Animal-Peace“-Aktivistin Nicola hat bei einer Jagdaktion am Niederrhein gegenteilige Erfahrungen gemacht: „Beinahe hätten die mich angeschossen, ich konnte den Luftzug der Munition an meinen Beinen spüren.“
Statt seine kriminellen Zunftgenossen zu ahnden, nimmt der Landesjagdverband lieber die bösen Jagdgegner ins Visier. Dabei spielt die Jägerlobby gern vergangene Taten hoch. Etwa die 150 Hochsitze, die eine klandestine „Splittergruppe Kleinholz“ 1993 nach eigenem Bekunden umgesägt hat.
Interessanterweise neigen die behelligten Jägersleute, denen etwa Säure übers Auto gespritzt wurde, zum Verkriechen in der vollen Deckung. „Mittlerweile werden Jagden gar nicht mehr öffentlich angekündigt“, stellt Werner Jörgensen von den „Ratten“ fest, „aber wir kriegen von überall her Tips.“ Die werden dann über einen Rundbrief und eine Infoline (0208-426516) verbreitet.
Denn die kleine radikale Minderheit der Tierrechtsaktivisten hat ein hohes Ziel: Jedwede Nutzung von Tieren durch die Menschen muß vermieden werden. Also: Kein Besitz an Tieren. Kein Fleisch. Kein Fell. Kein Leder. Milch gilt als weißes Blut. Eier, igitt, sind Menstruationsabfälle des Huhnes. Ihre vegane Lebensweise leiten die Konsequenten aus der Empfindsamkeit der Tiere ab. „Weil auch Tiere fühlen können, haben sie Persönlichkeit“, erklärt Alexandra von der Veganen Offensive Ruhrgebiet (VOR), „und Individuen, auch Tiere, gehören niemandem.“
VORler, „Ratten“, „Animal Peace“ sind nicht nur gegen Jagden und Jäger. Die Hardcore-Tierschützer stehen auch mit Propagandamaterial vor Zirkussen oder Zoos. Auch kippen sie Kunstblut vor McDonald's. Oder sie machen Kürschnern das Leben schwer. Der Düsseldorfer Kürschner Klaus-Peter Kuhn hat unter der Beseeltheit der Tierrechtler zu leiden. Eine Aktionsgruppe von „Animal Peace“ demonstriert vor seinem kleinen, aber feinen Laden. „Pelztierträgerin, trag' deine eigne Haut!“, krakeelten die Protestler holprig, aber laut. Und Stefan Bröckling ist zufrieden. „Der Krieg gegen die Tiere ist der größte Krieg, den die Menschheit je geführt hat“, agitiert der bei „Animal Peace“ angestellte Aktionskoordinator, „das Leiden unserer Mitgeschöpfe in Hühnerbatterien oder Pelzfarmen ist durchaus mit KZs zu vergleichen.“
Als Konsequenz aus dieser krassen Überzeugung folgt für die Peaceniks: „Wir sind nicht für Verbesserungen in der Lebenssituation von Tieren, wir wollen verhindern, daß sie umgebracht oder auch nur gehalten werden.“ Kompromisse oder auch nur Diskussionen mit dem Gegner sind im Protestkonzept von „Animal Peace“ nicht vorgesehen. Klaus-Peter Kuhn, Kürschner in der dritten Generation, läßt dieser moralische Rigorismus verzweifeln. „Seit Jahren bemühe ich mich erfolglos um Gespräche mit den Pelzgegnern“, zuckt er die Achseln, „ich empfinde deren Vorgehen als menschenverachtend und absolut undemokratisch; diese Leute versuchen, Angst zu verbreiten.“
Dabei ist Kuhn kein Schwein, sondern ein Mensch. Und weil er bei den Kürschnern die Probleme im Umgang mit Tieren kennt, bemüht er sich um eine reformistische Lösung. Als Vertreter der Gruppe „Kürschner und Umwelt“ legt er Wert auf die artgerechte Haltung und schmerzlose Tötung seines Rohstoffes.
Der Haufen Rigoristen gewinnt permanent an Einfluß: „Animal Peace“ etwa organisiert sich bundesweit auf dem Fundament eines gemeinnützigen Vereins. Mehrere tausend Spender bluten für das Ziel, „die Tiere aus der Jahrtausende alten Tyrannei des Menschen zu befreien“. In Duisburg, Essen und Wuppertal gibt es bereits Aktionsgruppen von überwiegend jungen Menschen. Konflikte mit der Staatsgewalt werden von diesen billigend in Kauf genommen. „Wir sind alle längst erkennungsdienstlich behandelt“, rühmt die Vorsitzende Silke Ruthenberg ihre Aktivisten.
Ein Stück weit weniger offensiv sind sie bei der Veganen Offensive Ruhrgebiet. „Wir führen keine illegalen Aktionen durch, aber wir solidarisieren uns“, sagt VORler Michael. Nicht ohne Grund hat sich die VOR den schwarzen Stern der Freiheit als Emblem gewählt. Aber innerhalb des finsteren Fünfzacks erhebt sich sowohl die Revoluzzerfaust als auch eine Hundepfote. Mit Faust und Pfote streitend, begreifen die VORler ihren Veganismus auch als Teil des Konzepts „Eat the Rich“: „Die VOR kämpft prinzipiell gegen jede Art der Ausbeutung von Menschen und Tieren“, erläutert Stoffschuhträger Timm.
Auf diesem Erkenntnispfad führt der Veganismus stracks hin zum neuen Menschen. Wer nur die Pflanzen frißt, sich mit den Viechern verbrüdert und dies hinausspeit, darf sich als immerdar gerechter Gutmensch fühlen. Und weil alles mit allem zusammenhängt, werden mit dem permanenten Wiederkäuen dieser Form gesunder Lebensweise alle Übel dieser Welt zermalmt. Im auflaufwarmen Mief der Gruppe mag selbst das kollektive Gurkensuppelöffeln taugen als schmackhaftes Rezept gegen den Faschismus. Thomas Meiser
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