Es gab solche und solche

■ betr.: „Fast alle waren Hosenschei ßer“, taz vom 14. 2. 95

Christian Semler hat in seinem Beitrag versucht, die Stellung und begrenzten Spielräume der Anwaltschaft in der DDR darzustellen. Dazu hat er auch Gespräche mit Rechtsanwälten der DDR geführt. Bedauerlich ist, daß er sich mehrfach auch zu mir äußert, ohne je mit mir diesbezüglich ein Gespräch geführt zu haben. Irrtümer und Fehleinschätzungen hätten vermieden werden können.

Hinsichtlich der Spielräume der Rechtsanwälte in Strafverfahren wird die Gesamtproblematik in dem Beitrag von Semler nicht deutlich. Bis in die siebziger Jahre hinein waren die Möglichkeiten des Anwalts in jedem Strafverfahren sehr gering. Erst Ende der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren spielte das Recht auf Verteidigung eine größere Rolle. Abweichungen von Anträgen der Staatsanwaltschaft verloren den Ausnahmecharakter. In allen Verfahren, in denen es jedoch nach Auffassung der Justiz um staatliche Machtfragen ging, blieben die Wirkungsmöglichkeiten der Anwälte extrem beschränkt.

Semler beschreibt, wie Rechtsanwalt Henrich einen Schauprozeß verhindert hat. Zu Recht weist er darauf hin, daß so etwas nur gelingen konnte, wenn solche Interventionen „wohl dosiert“ und „im Parteisinn“ gut begründet waren. Wenn er danach behauptet, daß solche Initiativen von mir nicht bekanntgeworden seien, dann kann das nur daran liegen, daß er weder mich, noch andere, die dazu etwas sagen könnten, befragt hat. Solche Interventionen hat es von nicht wenigen Anwälten gegeben, teils erfolgreich, teils erfolglos. Geradezu absurd ist, wenn Semler darauf hinweist, daß ich mich in zwei Fällen an die Bezirksleitung gewandt hätte und mir die Übernahme des Mandats untersagt worden sei. Er hätte dann wenigstens darauf hinweisen müssen, daß ich in beiden Fällen das Mandat übernommen habe. Es ging auch gar nicht um die Übernahme der Mandate, sondern um die Lösung damit im Zusammenhang stehender Probleme. Und da führte in beiden Fällen kein Weg an der Bezirksleitung der SED vorbei.

Das Berufsverbot für Rolf Henrich wurde nicht 1988, sondern 1989 ausgesprochen. An der entsprechenden Sitzung des Frankfurter Rechtsanwaltskollegiums, dem ich nicht angehörte, habe ich nicht teilgenommen. Richtig ist, daß ich an einer anschließenden Sitzung des Kollegiums teilnahm. Aber weshalb muß Semler so tendenziös und einseitig berichten. Wahr ist nämlich, daß in früherer Zeit die Veröffentlichung des Buchs von Rolf Henrich durch die DDR-Justiz tatsächlich als Staatsverbrechen geahndet worden wäre. Es ging also darum, auf die veränderte politische Situation hinzuweisen.

Die Rechtsanwälte in der DDR waren im Durchschnitt nicht mutiger als andere Bürgerinnen und Bürger auch. Jede einseitige und undifferenzierte Betrachtung hilft hier nicht weiter. Es gab solche, die ihre Spielräume nicht nutzten, solche, die die Spielräume ausnutzten, und auch solche, die sie überreizten, mit entsprechenden Folgen. Letzteres disziplinierte wiederum die anderen. Aber in den gesamten Jahren fand auch eine Auseinandersetzung zum Recht auf Verteidigung zu den entsprechenden Spielräumen und zu der Frage statt, welche Strafverfahren berechtigt sind und welche nicht. Die Diskussionen haben sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verschoben. Daß die Bedingungen auch für Anwälte leichter wurden, hatte sehr viel mit der Entspannungspolitik und daher damit zu tun, daß auch für die Partei- und Staatsführung die Schere zwischen Außen- und Innenpolitik nicht immer größer werden konnte. Das generelle Mißtrauen gegen Anwälte blieb, wie allein der Umstand belegt, daß sie von hohen und höheren Partei- und Staatsfunktionen einschließlich einer Mitgliedschaft in der Volkskammer ausgeschlossen blieben. Ob es im nachhinein betrachtet ausreicht, das Mögliche getan zu haben, wird der Beurteilung in der Zukunft unterliegen. Aber nicht wenige Anwälte haben genau das versucht. Das macht sie weder zu Helden noch zu Oppositionellen oder Dissidenten, aber eben auch nicht zu Claqueuren. Gregor Gysi, Berlin

Gysi hat, nach Rücksprache mit der SED-Bezirksleitung von Berlin, zweimal Mandate nicht übernommen. Auf einen Fall, den des Schriftstellers Joachim Seyppel, sei hier verwiesen, da er ihn selbst publiziert hat. Ich habe nicht gesagt, daß es Interventionen von Anwälten, zum Beispiel von Dr. Gysi, zugunsten ihrer Mandanten bei der SED nicht gegeben hat, ich sage, daß über sie nichts bekannt ist. Kein Wunder, denn ein Anwalt geriet, wenn er SED-Mitglied war, bei solchen Verhandlungen in eine prekäre Lage. Immerhin gab es den demokratischen Zentralismus.

Dr. Gysi meint, ich habe sein Verhalten gegenüber der Familie Henrich tendenziös wiedergegeben. Nach wie vor bin ich der Meinung, daß er, statt über die zunehmende Milde der Repressionsorgane in der DDR zu räsonieren, gegenüber der Familie Henrich ein Wörtchen der Solidarität hätte fallen lassen können.

Ich will Dr. Gysis These über die Erweiterung anwaltschaftlicher Möglichkeiten in den 70er und 80er Jahren nicht widersprechen, nehme allerdings den gesamten, um die „Machtfrage“ zentrierten Bereich des politischen Strafrechts ausdrücklich aus. Sein Hinweis, in der DDR habe es „solche“ und „solche“ Anwälte gegeben, sie seien nicht mutiger oder feiger gewesen als der Rest der Bevölkerung, schmeckt nach Apologie.

Ich sprach nicht nur mit ehemals oppositionellen Anwälten. Um ein Gespräch mit Dr. Gysi habe ich nicht gebeten, weil unvermeidlich der Komplex „IM Notar“ ins Zentrum gerückt und für den Zweck meiner Recherche nichts gewonnen worden wäre. Das war vielleicht ein Fehler. C.S.