: „Ma derf halt nix verkomme lasse“
Warum sind die Norddeutschen Schmuddelkinder und die Süddeutschen Müllfetischisten? / Betrachtungen über zwei Sorten von analen Charakteren in Deutschland ■ Aus Berlin Ute Scheub und aus Ulm Philippe André
„Macht der Hund a Häufele, kauf dir schnell a Schäufele!“ – so heißt es in ultimativem Tonfall auf dem Automaten für Kotbeseitigungsutensilien in der adretten Fußgängerzone von Konstanz. Und tatsächlich: Alles ringsum blitzsauber, kein Häufele weit und breit, das den Fuß des sehr verehrten Touristen bedrohen könnte. Wenn jener Tourist es nun aber wagen sollte, das gemütliche Bodenseegebiet zu verlassen und gen Berlin zu reisen, wird er dortselbst sein braunes Wunder erleben: Auf Schritt und Tritt ein Patsch und Klatsch, daß ihm die Hundekacke nur so um die Ohren spritzt.
Während jede Konstanzerin von ihren Nachbarn sofort wahlweise gelyncht oder standrechtlich erschossen würde, wenn sie die umgehende Beseitigung der Exkremente ihres Fiffis mal vergessen sollte, finden Millionen von Berliner Hundebesitzern überhaupt nichts dabei, ihre wauwaulosen Mitmenschen tagtäglich mit stinkendklebrigen Hinterlassenschaften zu terrorisieren. Zwar müßten Herrchen und Frauchen streng nach dem Gesetz auch in der deutschen Hauptstadt die Häufelchen beseitigen. Aber die Berliner Polizei würde wahrscheinlich die sofortige Solidarisierung der tierliebenden Punkfraktion in Kreuzberg mit den hundenärrischen Rentnerinnen von Wedding bis Wilmersdorf riskieren – inklusive mehrmonatiger blutiger Straßenschlachten – wenn sie die Einhaltung dieser Vorschrift durchsetzen wollte.
Im Norden findet frau nicht mal Öko-Windeln
Zufällig ist das alles keineswegs. Ob es um den Umgang mit tierischer oder menschlicher Scheiße geht oder mit den Exkrementen unserer Industriegesellschaft, Müll genannt, – ungefähr am Weißwurschtäquator wird unsere geliebte Republik durch eine unüberwindliche Kulturschranke geteilt. Sie macht deutlich, wo der wahre Unterschied zwischen den Deutschen liegt: nicht zwischen Ossis und Wessis, sondern zwischen den analen Verdrängern im Norden und den analen Fetischisten im Süden.
Im Norden gilt es schlicht als unfein, über Exkremente zu reden oder überhaupt nachzudenken, während den Südländern die Beschäftigung mit denselben geradezu lustvoll gerät. Im Norden wird die Existenz von Müll und Scheiße so gut es eben geht unter den Teppich gekehrt, während man dazu im Süden schon wegen der Kehrwoche gar nicht in der Lage ist. Die Auswirkungen dieser Kulturschamgrenze sind enorm.
In Berlin taumelt das duale Entsorgungssystem „DASS“ am Rand der Pleite entlang, weil die ignorante Einwohnerschaft – unterstützt durch institutionelle Blödheit – zuwenig Recyclingmaterial sammelt. In den Städten Schwabens und Bayerns hingegen kämpft ein Volk fanatischer Müllsortierer um bessere Abfallkonzepte. In den größten Kaufhäusern Berlins und Hamburgs schaffen es entnervte Mütter nicht, auch nur eine einzige Ökowindel zu kaufen, während sich in Tante Emmas Drogerie in Tübingen die Regale unter der Last von 17 Sorten Öko- und Nichtökowindeln biegen. Entsorgung ist im Norden ein Thema für Fachleute und vereinsamte Umweltkämpfer, während es im Süden zur höheren Kultur zählt. Jeder, der dort auf sich hält, hat sich schon mal bei einer Protestdemonstration unter dem Motto „Nur Flaschen kaufen Dosen“ verhaften lassen, beim 1991 nur knapp gescheiterten bayrischen Volksentscheid für „das bessere Müllkonzept“ mitgemacht oder ein Stück mit dem Titel „Die Stadt, der Müll und der Tod“ geschrieben.
Sie glauben das alles nicht? Halten es für maßlos übertrieben? Bitte schön, hier sind die Zahlen vom „Dualen System Deutschland“. Danach waren 73,5 Prozent aller Getränke, die die Deutschen im Jahre 1993 kauften, in Mehrwegflaschen gefüllt. Diese sogenannte Mehrwegquote erreichte in den südlichen Bundesländern – inklusive Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – stolze 74,5 Prozent. Drei von vier Flaschen wurden im Süden also brav dem Handel zurückgebracht. In den Ländern des Nordens hingegen erreichte die Recyclingquote nur 59,7 Prozent. Am peinlichsten ist das Ergebnis für die Brandenburger (53,9 Prozent), die Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns (44,5 Prozent) und die Berliner (43,5 Prozent). Dabei verweisen die Pressesprecher des „Dualen Systems“ in der Hauptstadt der Einwegflaschen sogar stolz auf Fortschritte: 1992 lag die Quote noch bei 38,3 Prozent.
Ein Blick in eine beliebige Berliner Mülltonne veranschaulicht den Sachstand: Flaschen, Aludosen, Plastikbecher und Papier finden sich friedlich vereint in der Entropie aller Dinge – unabhängig davon, ob die Tonne von einer Wohngemeinschaft frenetischer Greenpeace-Unterstützer oder einer Proletenfamilie bedient wird. In Ulm hingegen, der Stadt mit Deutschlands stolzesten Müllgebühren, können manche Menschen sämtliche Termine des städtischen „Abfuhrkalenders“ noch im Traum auswendig hersagen: Einen Tag fürs Altpapier und einen für die Altkleider, einen weiteren alle vier Wochen für den „gelben Sack“ und noch einen jede zweite Woche für die Restmülltonne; und natürlich wird alle zwei Wochen die Biomülltonne abgeholt.
Diese Termine sind lebenswichtig, denn wirklich geleert wird nur, was rechtzeitig, also spätestens zwischen sechs und sieben Uhr morgens, an der Straße steht. Wer im Sommer einmal vergessen hat, seine Biotonne herauszustellen, vergißt es nie wieder. Und wer ein paar Minuten zu spät aufsteht, hechelt frühmorgens mit einer randvollen Tonne im Schlepptau mehrere Straßen weit hinter den fixen Müllwerkern her, von denen behauptet wird, sie seien nicht etwa besonders arbeitsam, sondern vor allem schadenfroh.
Woher rührt nur dieses seltsame Phänomen der Müllgrenze? Einen ethnologischen Erklärungsansatz finden aufmerksame Beobachter bei den Schwaben, gilt dieser Volksstamm doch – ursprünglich wegen des harten Lebens auf der rauhen Schwäbischen Alb – als besonders arbeitssam, sparsam und geizig. „Ja wissetse, ma derf halt au nix verkomme lasse!“ Dieser Ausspruch von Frau Bräunle im Erdgeschoß eines Ulmer Mietshauses erhellt uns den ganzen Horizont. Denn er macht erstens deutlich, warum das Wiederverwertungsgebot fest in der schwäbischen Seele verankert ist; zweitens erklärt er, weshalb die schwäbischen Grünen – „die Griiene“ – besonders eifrig das Recycling predieren; und drittens verstehen wir nun die steten Wahlerfolge der Umweltpartei im tiefschwarzen Ländle.
Frau Bräunle jedenfalls meint es ernst. Alte Zahnbürsten hat sie in ihrem ganzen Leben noch nicht weggeschmissen. Sie dienen als Schuhputzer und dazu, den Staub auf den Rillen der Rolläden zu entfernen. Mit abgebrochenen Messerklingen besiegt sie hingegen seit Jahren das Unkraut, das sich im Hof immer wieder aufs neue durch die Ritzen der Steinplatten wagt. Müll zu trennen und vor allem zu vermeiden, ist ihr oberstes Gebot. Sie würde nie, wie so manche andere, die es auch in einer schwäbischen Kleinstadt gibt, müllsündig werden. Müllsündig, das bedeutet zum Beispiel, Metalldeckel und Kronkorken nicht wie befohlen erst in eine leere und gesäuberte Blechdose zu werfen, diese fest zu verschließen und dann erst in den gelben Sack zu entleeren. Müllsündig sein, bedeutet aber auch zu vergessen, Joghurtbecherdeckel und Alufolie „getrennt von anderem Metall in eine durchsichtige DIN A 4-Tüte zu packen und erst dann in den gelben Sack zu werfen.“
Aber der Süden ist größer als das Schwabenland, und die Badenser und die Bayern und die Thüringer verwehren sich zurecht dagegen, unter dieses Volk mit dem schrecklichsten Dialekt der Welt subsumiert zu werden. Also ist unsere Frage nach dem Ursprung der Kulturgrenze immer noch nicht befriedigend beantwortet.
Im Süden recycled man(n) noch die Kronkorken
Auch an der Religion – protestantischer Norden versus katholischer Süden – kann es kaum liegen. Denn in diesem Fall präsentierte uns auch das katholische Italien oder Spanien viel sauber gewienerte Gegend; und das protestantisch-calvinistische Holland wäre längst in Schlamm und Dreck versunken. Auch die nächste Arbeitshypothese, im Süden lebten mehr Analcharaktere als im Norden, zerschlägt sich schnell. „Analfixiert sind beide, Nordländer wie Südländer“, erklärt eine befreundete Psychoanalytikerin. Die im Norden gepflegte neurotische Verleugnung des eigenen Hinterteils sei schließlich auch eine Form der Fixierung. Die lustvolle Betätigung des Schließmuskels hingegen, das Aussitzen, Kontrollieren, das Nichthergebenwollen, all das werde von den Süddeutschen – inklusive gewisser Rheinländer – offensichtlich noch ein wenig besser beherrscht: „Ich möchte nicht wissen, wieviel Hämorrhoiden in den Bürgerinitiativen hocken.“
Wir sollten bedenken, sagt die feministisch orientierte Psychoanalytikerin, daß die Müllfrage in vorderster Front auch eine Geschlechterfrage sei. Für die korrekte Bedienung der zwei häuslichen Mülleimer in Berlin und der sieben Kuttereimer in Ulm, fürs Popowaschen und Kinderwickeln, fürs Flascheneinkaufen und -wegbringen, für all das seien jedenfalls nach wie vor in erster Linie die Frauen zuständig. 1950 schleppte noch jede Hausfrau jedes Jahr 190 Kilogramm Abfall zur Mülltonne, 1994 sind es nicht weniger als 350 Kilo, ein gutes Drittel davon Verpackungen. Allein das Vermeiden von Einwegmüll durch bewußtes Einkaufen bedeute für die Frau eine Mehrarbeit von zwanzig Prozent, berichtet die Psychoanalytikerin in bitterem Tonfall, fürs Müllsortieren ginge wahrscheinlich noch mal zehn Prozent der Freizeit drauf. „Und die Restfreizeit vertun wir Feministinnen aus dem Norden damit“, sagt sie, „den lustvoll im Müll wühlenden Schwäbinnen beibringen zu wollen, daß das nichts als Fron ist“.
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