„Stell dir vor, mir macht es Spaß“

Zum erstenmal respektieren die meisten Menschen in Bosnien den Fastenmonat Ramadan / „Weil die anderen uns hassen, müssen wir Muslime zu den Quellen unserer Identität zurückkehren“  ■ Aus Zenica Erich Rathfelder

Hazim zuckt nur mit den Achseln. Sein bisher gutgehendes Bistro in Zenicas Altstadt, wo sich noch vor einem Monat die jungen Leute drängten, wo schon mittags kein Platz mehr zu finden war, ist wie leergefegt. Die Stühle stehen unverrückt an den Tischen, die Kellnerinnen sitzen gelangweilt hinter der Theke. „Seit ich im letzten Frühjahr mein Café aufmachen konnte, habe ich so etwas noch nicht erlebt. Es ist eben Ramadan.“ Ramadan, der islamische Fastenmonat, verbietet den Gläubigen, tagsüber Nahrung zu sich zu nehmen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang darf weder etwas gegessen noch getrunken werden. Auf dem Fernsehbildschirm, der über der Theke angebracht ist, werden gerade die Zeiten durchgegeben. Mostar: 5.58–17.35 Uhr steht da zu lesen. Und dann folgen die Fastenzeiten für jede andere Stadt.

Es werden sogar weniger Zigaretten gekauft

„Noch im vorigen Jahr, während der Blockadezeit“, erinnert sich Amela, „haben die meisten auch tagsüber gegessen und getrunken, wenn es etwas zu essen oder trinken gab, selbst Alkohol.“ Damals hätten die meisten Menschen in Zentralbosnien zwangsweise hungern müssen, „so, wie es heute in Bihać, Srebrenica und den anderen Enklaven noch üblich ist.“

Doch diese Zeiten sind in Zentralbosnien seit der Bildung der kroatisch-bosnischen Föderation glücklicherweise vorbei. Jetzt wird freiwillig gehungert. Auch die kleinen Imbißstuben, die sonst von Menschen umlagert sind, bleiben leer. Selbst Zigaretten sind schwer an den Mann oder die Frau zu bringen. Obwohl während der Kriegszeiten die Zahl der Raucher stark zugenommen hat, verzichten viele Menschen jetzt sogar auf den blauen Dunst. „Am Abend rauche ich natürlich“, sagt Sejo, ein Offizier der bosnischen Armee, und blickt mit zwiespältigen Gefühlen auf die angebotene Zigarette, „doch jetzt nehme ich die Fastenregeln ernst und, stell dir vor, mir macht es Spaß.“

Im teuren Restaurant an der Hauptstraße sind einige Plätze besetzt. Gemüse und Fleisch, Salate und Weinflaschen sind aufgetischt. Doch, die da bei gesalzenen Preisen speisen, sind zumeist Ausländer, Mitglieder internationaler Hilfsorganisationen oder Offiziere der Blauhelme. Die in Zenica lebenden Kroaten und Serben können sich den Restaurantbesuch nur schwerlich leisten. Und die gekommen sind, begnügen sich mit dem türkischen Kaffee und einem Gläschen Loza oder Slivovic, dem landesüblichen Schnaps.

Der Muezzin ruft zum Gebet. Seine Stimme ist über die Lautsprecheranlage gut zu hören. Noch vor Monaten war sie nicht nur wegen des Strommangels leiser gewesen. Morgens und um die Mittagszeit machen ihm die Glocken der christlichen Kirchen Konkurrenz. Sejo steht auf und macht sich auf den Weg. Seit er im letzten Winter 1993/94 „das erste Mal seit langem in die Moschee gegangen ist“, läßt ihn die neue Gewohnheit nicht mehr los. „Ich bin eben ein echter Muslim geworden“, und er schmunzelt zum Abschied, während er das Gastgeschenk, eine Flasche kroatischen Cognacs, in seinen Taschen verschwinden läßt. „Wir sind zwar immer noch europäische Muslime und trinken ab und zu, aber eben doch Muslime.“

In dem Verteilungszentrum einer marokkanischen Hilfsorganisation sitzen einige junge Frauen, die sich ein Kopftuch umgelegt haben. Hier werden Lebensmittel in Familienpakete gepackt. Datteln sind da zu sehen, Reis und Fleischkonserven. Auch die Frauen, die sich die Pakete abholen, haben ein Kopftuch umgelegt. „Das ist jetzt hier bei den islamischen Hilfsorganisationen so Sitte“, sagt eine ältere Frau. Und schon im Hinausgehen, unbemerkt von den Verteilerinnen, hat sie das Kopftuch wieder abgenommen. Das Abendessen für die Familie ist gesichert.

In dem hinteren Raum arbeitet eine rauchende Frau an einer Schreibmaschine. Sie übersetze eine „islamische Propagandaschrift aus dem Englischen ins Bosnische“, erklärt sie freimütig auf englisch und lacht. „Job ist eben Job.“ Sie sei Katholikin und wegen ihrer Sprachkenntnisse hier eingestellt. „Gern mache ich das nicht, jetzt fängt dieser nationalistische Scheiß, so wie früher in Serbien und Kroatien, hier auch an. Das ist ja voller Geschichtsklitterung.“ Ungeachtet dessen hat sie schon den nächsten Satz geschrieben.

Endlich kommt die Dämmerung. Die Menschen auf den Straßen beschleunigen ihren Schritt. Eine Familie hat den Reporter zum Abendessen eingeladen.

Der Vater, ein ehemaliger Professor an der Universität von Sarajevo, weist mit breitem Lächeln auf die Couch, wo zwischen zwei erwachsenen Söhnen noch ein Plätzchen ist. „Meine Frau und meine Töchter waren zwei Jahre lang als Flüchtlinge in Istanbul, jetzt sind sie zurückgekehrt.“

Schon werden von den Frauen die Speisen aufgetragen, wie Kuchen geschnittener Burek, eine Platte mit Schaffleisch, Kartoffeln und Krautsalat. Die Frauen ziehen sich in die Küche zurück, als das Mahl beginnt. „Ein anderer Sohn, der schon seit 15 Jahren in der Schweiz verheiratet ist, schickt uns regelmäßig Geld.“

Beim Kaffee wird er nachdenklich. „Ich war wie die meisten Bosnier vor dem Krieg Atheist, ich war ja im Bund der Kommunisten.“ Doch da die „Tschetniks und Ustascha, die serbischen und kroatischen Nationalisten, uns hassen, müssen wir bosnischen Muslime zu den Quellen unserer Identität zurückkehren.“ Und das sei eben der Islam. Die Religion helfe, „unsere eigene Identität wiederzugewinnen. Deswegen wird jetzt der Ramadan von den meisten bosnischen Muslimen eingehalten.“