Baltinnen in weißen Strumpfhosen

■ Mit viel Phantasie wirbt die russische Armee um die öffentliche Meinung

Warum berichteten die Journalisten bisher vor allem von tschetschenischer Seite? fragen diejenigen Russen, denen die russische Armee am Herzen liegt. Ganz einfach, weil sich die russische Armee von Anfang an gegen Journalisten abgeschottet hat, während die Journalisten auf der tschetschenischen Seite relativ frei arbeiten konnten. Die bewaffneten Formationen der Armee und des Innenministeriums haben ihre Abschottung erst Mitte Januar aufgehoben. Offenbar hat man nun auch dort erkannt, daß man in der russischen Gesellschaft um die öffentliche Meinung werben muß.

Der Stil der offiziellen Verlautbarungen erinnert allerdings an alte Zeiten. Eine Kostprobe der neuen PR-Offensive des Militärs gab der Chef für Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeriums, Wladimir Woroschzow, im Moskauer Haus des Journalisten. „Warum“, so fragte er, „werden die Heldentaten der russischen Soldaten in Tschetschenien so wenig gepriesen?“ Und mit einer rhetorischen Frage setzte er nach: Was hätte ein sowjetischer Kommandeur im Jahre 1943 wohl gemacht, wenn ihn Fernsehjournalisten um die Erlaubnis gefragt hätten, „zu den Deutschen hinüberfahren zu dürfen, um die Gestapo-Leute in sauberen Stiefeln zu filmen“?

Eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit der Militärs spielt das Militärfernsehen „Wojen TV“. Das Studio arbeitet für das russische Verteidigungsministerium und verkauft seine Filme an die verschiedenen Fernsehprogramme.

„Wegen der Objektivität“ übernimmt heute auch der gegenüber dem Tschetschenien-Krieg sehr kritisch eingestellte Fernsehsender NTW Stücke aus der Produktion des Wojen TV. Sie zeigen die russische Armee als ehrlich und gut. Berichtet wird beispielsweise über unbürokratische Versicherungsleistungen der Armee bei Verletzten, über den Transport humanitärer Güter ins Kriegsgebiet und über den heldenhaften Kampf der russischen Spezialtruppen gegen die Tschetschenen. In einem der Filme öffnet ein russischer Soldat eine Tür und zeigt auf einen Türbalken. „Dort oben deponieren sie Granaten“, erklärt er. „Wenn man die Tür aufmacht, fallen sie runter und explodieren.“

Immer wieder tauchen im Fernsehen auch Berichte über Söldner auf. Aus aller Herren Länder strömen sie angeblich nach Tschetschenien und kämpfen dort für Tagesgagen von 1.000 Dollar. Die Söldner kommen angeblich aus Rußland, der Ukraine, den baltischen Republiken, vor allem aber aus Afghanistan – Tausende Afghanen sollen auf der Seite Dudajews kämpfen. Jeder Söldner, der einen Soldaten der russischen Sondertruppen erschießt, berichten die offiziellen Militärmedien, erhält von Dudajew 3.000 Dollar. Über die Tatsache hinaus, daß es in Tschetschenien wie in fast allen Kriegen auch ausländische Freiwillige gibt, lieferten diese Medien allerdings keine stichhaltigen Beweise.

Auch führende russische Politiker bedienen sich dieser meist abenteuerlichen Geschichten. So behaupteten der Chef des Geheimdienstes, Stepaschin, und Parlamentspräsident Rybkin öffentlich, es gebe ein baltisches Scharfschützenbataillon von „Frauen in weißen Strumpfhosen“, das auf Seiten Dudajews und seiner Milizen kämpfe.