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526 Seiten Anklage ein Nichts?

■ Heute wird im Prozeß gegen den angeblichen König der Berliner Unterwelt, Klaus Speer, ein Urteil erwartet / Als Musterprozeß im Bereich der organisierten Kriminalität gilt er längst als gescheitert

Wenn es nach der Staatsanwaltschaft ginge, müßte Klaus Speer für sechseinhalb Jahre in den Knast. Zwar hatte sie Anfang des Monats den Vorwurf der organisierten Kriminalität gegen den Geschäftsmann fallengelassen, doch Staatsanwalt Sjörs Kamstra sah den Angeklagten des Betruges, des Wuchers, der Körperverletzung, der Nötigung und des Waffenbesitzes überführt. Wenigstens dafür will er ihn eingesperrt wissen. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft nach fast zweijähriger Verhandlung gegen Klaus Speer diese Haftstrafe beantragt.

Höchstens eine Geldstrafe komme für seinen Mandanten in Frage, hatte Horst Mahler, Speers Anwalt, in seinem fast dreitägigen Plädoyer gefordert. Nachzuweisen sei seinem Mandanten nur, was dieser selbst zugegeben habe, nämlich unerlaubten Waffenbesitz und die Anstiftung eines Kontaktbereichsbeamten zum Verrat von Dienstgeheimnissen. Dieser hatte seinen Job hinsichtlich des Kontaktes ganz besonders ernst genommen und sich von Speer zu kostenlosen Puff-Besuchen einladen lassen. Im Ausgleich lieferte er seinem Sponsor Daten aus dem Polizeicomputer.

Mit Akribie hatte Horst Mahler vor knapp zwei Wochen die 526 Seiten umfassende Anklageschrift zerpflückt und von einem „voluminösen Nichts“ gesprochen. Für ihn war die Anklage gegen den zum Unterweltkönig hochstilisierten Speer „krachend in sich zusammengebrochen“.

Tatsächlich waren kaum Vorwürfe der Anklage haltbar. Angeblich erpreßte Opfer hatten ausgesagt, daß Speer ihnen nur geholfen habe, und ein Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft stellte sich als derart unzuverlässig heraus, daß Anklagevertreter Kamstra es vorzog, auf seine Vernehmung zu verzichten. Immer wieder stellte Speer-Anwalt Horst Mahler Befangenheitsanträge gegen die Mitglieder der Kammer, weil diese seinen Mandanten weiterhin in Untersuchungshaft hielten.

Von Beginn an hatte der Verein Berliner Strafverteidiger e.V. den Prozeß gegen den 50jährigen Immobilienkaufmann und Boxpromoter Klaus Speer für ein untaugliches Pilotverfahren gehalten und entsprechend kritisch gewürdigt. „Hier werden Kriterien für den Begriff der Organisierten Kriminalität festgelegt“, monierte die vom Verein als Beobachterin entsendete Anwältin Ulrike Zecher. Sie vermutete, daß es bei diesem Prozeß auch darum gehe, erstmalig den im Rahmen der Verbrechensbekämpfungsgesetze vom 1. Dezember 1994 in Kraft getretenen Sonderparagraphen 257a auszuprobieren. Dieser Paragraph 257a der Strafprozeßordnung (StPO) schränkt die Möglichkeiten von Angeklagten und Verteidigern ein, ihre Beweisanträge öffentlich zu verlesen.

Doch all das hatte weder dem Vorsitzenden Richter noch der Staatsanwaltschaft etwas genutzt. Die Beweise gegen Klaus Speer blieben dünn.

Grund für die Staatsanwaltschaft, nach den Plädoyers noch einmal in die Beweisaufnahme einzutreten und weitere Zeugenvernehmungen durchzuführen. Nachdem auch diese keine weiteren Erkenntnisse über eine vermeintliche Wuchertätigkeit gegen Speer erbracht hatten, war die Verhandlung zunächst bis heute ausgesetzt worden.

Als im März 1993 der Mammutprozeß gegen Speer und sechs weitere Angeklagte eröffnet wurde, legte die Staatsanwaltschaft dem angeblichen Paten 18 verschiedene Delikte zur Last. Zuvor hatten die Beamten der Sonderkommission „Spitze“ fünf Jahre lang gegen Speer ermittelt und die Ermittlungsergebnisse in rund 170 Aktenordnern zusammengefaßt.

Zu den Besonderheiten des Prozesses gehörte nach Auffassung des Vereins Berliner Strafverteidiger, daß sich die Staatsanwaltschaft mit Klaus Speer erstmals willkürlich eine Person ausgesucht habe, von der sie annahm, daß sie im Bereich der organisierten Kriminalität eine Rolle spiele, um diese dann auszuspähen und ihr Straftaten zuzuordnen. Die letztendlich dabei zustande gekommene Anklage war dem Verein konstruiert vorgekommen.

Im Vorfeld der Verhandlung war von Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer im Zusammenhang mit der Verhaftung Speers immer wieder von einem bedeutenden „Schlag gegen die Mafia der Hauptstadt“ gesprochen worden, doch zeichnete sich schnell ab, daß die zunächst eindrucksvoll klingenden Anschuldigungen sich nur schwer beweisen lassen würden.

Klaus Speer, der vor rund 25 Jahren an einer Schießerei zwischen deutschen und persischen Zuhältern teilgenommen hatte, versicherte im Verlauf der Verhandlung immer wieder, daß ihm längst der Absprung ins bürgerliche Leben gelungen sei. Peter Lerch

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