Gewerkschaftsarbeit

■ betr.: „Keine Zeit zur Trauer“ (Gewerkschaften: Noch nie waren sie so schwach wie heute), taz vom 17. 2. 95

Seit nahezu einem Jahrzehnt sind die Einzelgewerkschaften im DGB (und der DGB selbst) mit sich und so mit der eigenen Reform und der eigenen Anpassung an geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen befaßt. Dieser Prozeß vollzieht sich natürlicherweise neben oder auch gleichzeitig, deren eigentlichen Auftrag und Anspruch Arbeitnehmerinteressen zu formulieren und zu vertreten. Auch das geschieht unter dem Eindruck und dem Kontext einer sich gewandelten und weiterhin im Wandel befindlichen Gesellschaft, in der die Gewerkschaften nicht außerhalb stehen, sondern Teil dieser Gesellschaft sind. Einer Gesellschaft mit all ihren Problemen wie Individualisierung, Intoleranz, Entsolidarisierung, Ellenbogenmentalität etc.

Die Form der Selbstbefassung geschieht in langwierigen und -jährigen Diskussionsprozessen, die dann in Gewerkschaftskongressen und -beschlüssen münden. Diese gefaßten Beschlüsse sind jedoch nur Teil von (Veränderungs-)Prozessen, die auf den Gewerkschaftskongressen entweder fortgesetzt oder initiiert wurden, jedoch keinesfalls einen Abschluß gefunden haben. Um jedoch Ziel und handlungsorientiert Lösungsmöglichkeiten zu finden, um sich damit als Gewerkschaft neuen Politikfeldern zu öffnen, in der Tarifarbeit progressiver und mutiger auftreten zu können und zum anderen den gesellschaftlichen Kontext nicht unbeachtet zu lassen, muß eine gehörige Portion Ehrlichkeit und Selbstkritik vorausgesetzt werden beziehungsweise in die jeweiligen Reformbeschlüsse einfließen. Nur das für sich genommen macht ein Stück weit deutlich, wie schwer eigene Analysen und Selbstkritik zu erfassen sind, stellen sie doch zunächst einmal Gesellschaft und Individuum – zumindest sollte es auch so sein, um vorwärts zu kommen – in erheblichem Maße in Frage.

Die Problemanalyse und deren Lösungsmöglichkeiten jedoch so einfach anzugehen, wie von Mechtild Jansen dargestellt wurde, ist wunderschön. Leider jedoch haben es der DGB und seine Einzelgewerkschaften verpaßt, schon viel früher die Auseinandersetzung mit Mechtild Jansen zu suchen. Das ist bedauerlich. Schade eigentlich. Hätte doch dadurch im Sinne einer (mit-)gestaltungsorientierten solidarischen Gewerkschaftsarbeit nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld gespart werden können. Martin Steinmetz, Schwerte