Unterm Strich

Nichts könnte der deutschen Feuilleton-Öffentlichkeit besser tun, als sich ihre Debatten einmal von außen beschreiben zu lassen. Allein, so richtig vermag sich draußen offenbar niemand für die deutschen Affären zu erwärmen. Oder doch? Le Monde, die große liberale Pariser Tageszeitung, widmete der „Affäre Botho Strauß“ am vergangenen Freitag eine ganze Seite in ihrem Kulturteil. Eine ganze Seite! Aber am vergangenen Freitag? Und wie lange sind wir schon mit dem „Bocksgesang“ beschäftigt? (Seit Februar 1993! Schauen Sie ruhig selber nach!) Die Überschrift klingt alarmierend: „Das Entstehen einer intellektuellen Strömung von rechts bewegt Deutschland“. Aber schon die Unterzeile deutet in Frageform einen Verdacht an: „Entspricht dieses Denken den tiefen Gefühlen der Gesellschaft?“ Lucas Delattre, der Bonner Korrespondent der Zeitung, hat sichtlich Mühe, den Franzosen zu erklären, worum es bei dem Streit eigentlich geht. Zunächst ist eine Figur wie Strauß in Frankreich schwer denkbar – ein Intellektueller, der sich in einer „den gemeinen Sterblichen gezielt unzugänglichen“ Sprache mit provokanten Thesen in die Debatte wirft, um sich dann in sein heimeliges Domizil zurückzuziehen und mit der Welt bloß noch per Post zu kommunizieren. Aber, so Delattre moderierend zum französischen Publikum, man dürfe den Einfluß der Intellektuellen auf die öffentliche Meinung jenseits des Rheins ohnehin nicht überschätzen. Aber was sagt er nun, dieser Strauß, den man als Theaterautor auch von den Pariser Bühnen her kennt? Er klagt „l'hypocrisie de la morale publique“ an, „qui tolère la dépreciation du sexe, du soldat, de l'Eglise, de la tradition et de l'autorité“. Strauß wundere sich darüber, daß wir ein Volk nicht mehr verstehen könnten, daß seine Kultur mit einem Blutopfer zu verteidigen bereit sei. Delattre erkennt in der Straußschen Klage über die Sekurität der Zivilisation einen „Prophetenton“; die Aussagen hätten als „Ausdruck einer unglücklichen Seele“ durchgehen können. Mit unverhohlener Verwunderung schildert er dann aber, wie in Deutschland eine politische Debatte voll scharfer Polemik aus solchen Äußerungen entstehen konnte, die doch trotz des Etiketts der „neuen Rechten“ einen „anti-libertären Geist“ durchblicken lassen, „der seine Bezüge in sehr alten Schemata sucht“: „Ein weiteres Mal erklärt die ,Kultur‘ der Zivilisation den Krieg.“ Und noch eine schöne Beobachtung des Korrespondenten: Anders als in Frankreich ist in Deutschland das Theater ein Austragungsort für gesellschaftliche und politische Debatten. Das spricht nicht für das Theater, sondern gegen die allgemeine Verfassung der Öffentlichkeit. Die freischwebenden ebenso wie die akademischen Intellektuellen bevorzugen, auch dies anders als in Frankreich, immer noch mehrheitlich eine zurückgezogene, desengagierte Existenz.