Im Streit um Produktpiraterie sind sich die USA und China in letzter Minute einig geworden. Einen Handelskrieg wollen beide Seiten nicht riskieren. Denn damit würden sie die Entwicklung ihrer Wirtschaftsbeziehungen aufs Spiel setzen Von Jutta Lietsch

Chinas Tradition der Kopie

Alles deutete in den letzten Tagen erneut auf einen „Handelskrieg“ hin. Diesmal aber war der Gegner Amerikas nicht Japan, sondern China. Für den Fall, daß die chinesische Regierung nicht das illegale Kopieren von Computer-Software, CDs und Videos in ihrem Land unterbinde, drohte die US-Regierung mit hohen Strafzöllen gegen chinesische Exporte in die USA. Um 6 Uhr früh lief gestern ein entsprechendes US-Ultimatum aus. Doch in letzter Minute kam die Einigung dann doch. Die USA und China verständigten sich am Sonntag morgen auf Maßnahmen zum wirksameren Schutz von US-Produkten vor billigen Massenfälschungen, berichteten übereinstimmend die US-Botschaft in Peking und die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.

Fast zwei Jahre dauerten die Verhandlungen zwischen beiden Ländern an. Besonders in der spannungsgeladenen Schlußphase wurden die Drohgebärden beider Seiten immer massiver. Die USA wollten unter anderem chinesische Fahrräder, Anrufbeantworter und Plastikprodukte mit hundertprozentigen Zöllen belegen. Insgesamt 35 chinesische Produktgruppen listeten die USA auf, Produkte, mit deren Export China im letzten Jahr mehr als eine Milliarde Dollar verdiente. Durch die Abkupferei von Videos und CDs seien den Amerikanern Verluste von bis zu einer Milliarde US-Dollar entstanden, hatte der US-Handelsbeauftragte Mickey Kantor vorgerechnet.

Auf diese Drohung reagierte Peking unverzüglich: Weil die USA sich weigerten, die „bedeutenden Bemühungen Chinas für den Schutz des geistigen Eigentums“ zur Kenntnis zu nehmen, werde China keine andere Wahl haben, als Vergeltungsmaßnahmen zu treffen. Dafür würden unter anderem die Zölle auf amerikanische Videospiele, Zigaretten und Kosmetika verdoppelt. Wichtiger aber noch war wohl die Drohung, daß die Verhandlungen mit US- Firmen über den Bau einer gigantischen Autoproduktion abgebrochen werden sollten.

Je näher jedoch der 26. Februar rückte, desto sicherer rechneten alle Seiten mit einem Kompromiß. Und es mangelte nicht an Gesten des guten Willens: Die chinesische Presse berichtete in der vergangenen Woche, daß die Polizei zwei der von den USA monierten 29 Betriebe in Südchina geschlossen hat. Sowohl die Shenfei Laser & Optical System Co. in der Sonderwirtschaftszone Shenzen als auch das Audio-Video Publishing House in der Sonderwirtschaftszone Zhuhai hätten Hunderttausende von CDs und Laser Disks illegal produziert, hieß es in Peking.

Wie sehr vor allem die amerikanische Regierung darauf bedacht war, den Konflikt abzubiegen, wurde deutlich, als sie eine 75köpfige US-Wirtschaftsdelegation kurz vor Ablauf der Frist nach China reisen ließ. Am Freitag gab US-Energieministerin Hazel O'Leary bekannt, daß Energieprojekte in Milliardenhöhe vereinbart wurden.

Auch auf anderer Ebene hob Washington die Bedeutung gemeinsamer Interessen zwischen China und den USA hervor: Beamte des US-Verteidigungsministeriums ließen die Washington Post wissen, daß neue Schritte zur Verbesserung der militärischen Zusammenarbeit geplant seien. So wollen amerikanische Kriegsschiffe in diesem Frühjahr erstmals seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung von Tiananmen wieder einen chinesischen Hafen zum Freundschaftsbesuch anlaufen.

Unwahrscheinlich schien eine Eskalation des Handelsstreits aber auch aus einem anderen Grund. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und den USA werden immer enger. Ein Drittel der Exporte Chinas gehen in die USA, der chinesische Handelsüberschuß gegenüber dem amerikanischen Partner beträgt 30 Milliarden US- Dollar. Peking, dessen wirtschaftliche Strategie darauf zielt, seine Exporte unter allen Umständen auszubauen, braucht den amerikanischen Markt.

Spätestens als Bill Clinton im vergangenen Jahr verkündete, daß Wirtschaftsbeziehungen und Menschenrechte nicht miteinander verknüpft werden sollten, war der chinesischen Führung klar, daß keine Regierung in Washington es wagen würde, die Handels- und Investitionsinteressen der US-Wirtschaft in China aufs Spiel zu setzen: ein Markt mit 1,2 Milliarden Menschen ist nicht zu ignorieren.

Deswegen befindet sich die US- Regierung unter doppeltem Druck: Sie muß dafür sorgen, daß ihre Computer- und Software-Firmen geschützt werden. Zugleich aber darf sie Peking nicht zu sehr vergrätzen. Vor allem auf dem riesigen Feld der Informationstechnologien wollen die Amerikaner sichergehen, daß ihre Firmen die Nase vorn haben. US-Telefon- Konzerne wie AT&T und Ameritech wollen Übertragungssysteme und Ausrüstung an China verkaufen, IBM ist am Aufbau eines Projektes beteiligt, das die Datenübertragung zwischen Regierungsbehörden und Wirtschaftsunternehmen entwickelt.

Auch der Anschluß Chinas an die globale Datenautobahn hat bereits begonnen. Auch wenn die Haltung der chinesischen Regierung gegenüber den neuen Kommunikationstechnologien derzeit noch reichlich widersprüchlich scheint. Erst im letzten Jahr hat das Reich der Mitte private Satellitenschüsseln zum Empfang internationaler Programme verboten. Mit gewissem Erstaunen nahm die internationale Öffentlichkeit dann im Januar zur Kenntnis, daß Schanghai und Peking als erste Städte Chinas einen Zugang zum Internet erhielten.