Heute ist hier Tubawu

■ Ein rotnasiger Fisch schnappt nach Luft: Einziger Rosenmontagszug in Bremen

Die hohe Schule der Verkleidung steht eindeutig in Bremen. Nirgends braucht der Mensch so wenig wie hier, um seine Bereitschaft zur Narretei zu signalisieren.

Wo bundesweit das ganze Jahr über Tüll und Tinneff zu raumgreifenden Masken verpäppt werden, reicht den Bremer BürgerInnen ein roter Punkt auf der Nase. Wenn die Dame dazu einen hautfarbenen Parka trägt und der Gatte seine Woolworthlederjacke, so ist das Absicht. Der neutrale Grundton dieser Kleidung lenkt nicht weiter vom Gesicht ab.

Das mittig akzentuierte Karnevalsszeichen macht aus einem Bremer einen Jecken, so, wie mithilfe eines grünen Punktes aus Plastikmüll Wertstoff wird. Warum nicht wenigstens eine rote Knollnase? „Die muß man ja erst besorgen,“ erteilt ein Verkleidungsasket punktgenaue Antwort, klar wie Klarer. Mehr Verkleidung braucht er nicht, um gut drauf zu sein, und selbst das sieht man ihm nicht unbedingt an. Stumm steht er auf dem Gröpelinger Trottoir und blickt hinter dem einzigen Karnevalsumzug her, den Bremen am Rosenmontag zu bieten hat. Der Mann ist extra aus Oslebshausen angereist, weil ihm das „so viel Spaß macht. Das ist sogar besser als Köln“, sagt er, auch wenn er das nur aus dem Fernsehsessel kennt.

Der Gröpelinger Karneval, erzählt einer der OrganisatorInnen, hat schon „lange Tradition“. Und das heißt hier ein Jahr. Im vergangenen Februar zog es 800 Menschen zum Nachbarschaftszentrum, der logistischen Mitte des Ganzen. Gestern waren es wieder so viele, vorwiegend Cowboys und IndianerInnen. Kindergärten und Schulen beteiligten sich, ein Feuerschlucker, zwei Sambagruppen, ein Jongleur, die Senioren-Theatergruppe „Kratzbürsten“ und die Senioren-Musikgruppe „Finkenschlag“. Nachmittags würde die Senioren-Tanzgruppe der Altentagesstätte den Kindern einen Square-Dance zeigen.

„Heute ist hier Tubawu“ sagt eine der quietschfidelen Miss Marples und rudert mit den Armen. Der Theater- und Spektakelwagen schunkelt bedrohlich, den Alten ist's so egal wie den Kurzen die Ansprache eines Organsisators. Sie rasseln, schnacken, kreischen, sodaß er samt Megaphon wieder vom Bagger steigen muß. Ach ja, die Erwachsenen.

Die nordisch unterkühlte Mentalität kennt auch Hella Keller. Seit 10 Jahren ist sie Präsidentin des einzigen Bremer Karnevalsvereins „Rot-Weiß“ und saß gestern vorm Fernseher, um sich die Kölner NärrInnen anzuschauen. Ein Rosenmontagsumzug in Bremen, ach, das wäre schön, lohnt aber nicht, sagt die Rentnerin, weil ja alle am nächsten Tag wieder arbeiten müssen. Ohne freien Tag kann man das hier nie durchsetzen, obwohl das Interesse hier immer größer wird, beteuert sie. Als ihr Mann, ein Aachener, 1964 den Verein gründete, glaubte sie auch nicht daran. Aber als Vizepräsidentin des Karneval-Landesverbandes Niedersachsen ist sie Herrin über 24 Vereine, „und das wird immer mehr. Jedes Dorf hat doch inzwischen seinen eigenen Karnevalsverein.“

Denn, wenn es läuft, dann läuft es, meint sie und hat darauf ein Lied gedichtet. „Die Bremer, die sind von Natur, so'n büschen steif, so'n büschen stur. Das stimmt ja gar nicht, oh nein, wir können ganz anders sein. Wenn wir erstmal in Stimmung sind, dann stimmen alle mit ein.“ Dafür konnten wir handfeste Belege finden. Das Fremdenverkehrsamt etwa führt noch immer den „Verein der Rheinländer in Bremen - Bremer Karnevalsgesellschaft“ im Adressenverzeichnis, obgleich der Verein vor 20 Jahren starb. Wie gesagt, wenn einmal was bewegt ist ...

Insofern büßt Bremen immer mehr von seinem Ruf ein, eine Fluchtburg für Pappnasen zu sein. Rheinische Karnevalsflüchtlinge wurden stattdessen zuhauf in Papenburg gesichtet, wo sie Mimikri mit dem Publikum der Oriana-Show betrieben. Aus Bremen selbst mußte noch niemand fliehen, allenfalls die Handvoll Hardcorejecken, die um 7.39 Uhr den Sonderzug nach Köln bestiegen. „Aber das sind nicht viele“, kommentierte der Bahnbeamte. Also wir wundern uns darüber nicht: Denn wer bei der Auskunft in die übliche Warteschleife gerät, darf sich im Slon-Rhythmus eines Max-Greger-Samba wiegen. Ja, und dann noch einen roten Punkt auf die Nase, das reicht doch! Da muß man doch nicht noch rausgehen – oder?

Dora Hartmann