: Nachschlag
■ Für Pubertierende ist Karneval noch vertrackter als für Kinder
Karneval für Kinder sollte verboten werden. Ich zumindest wäre auch sehr gut ohne ausgekommen. Zu den wenigen Restbestandteilen meiner Kindheitserinnerungen, die sich noch nicht in irgendeinem unerreichbaren Hirnwinkel verkrümelt haben, gehört ganz unbedingt der jährlich wiederkehrende Kostümierungsterror. Beim Kinder-Karneval geht es nämlich eigentlich nur um eines: Wer hat das schönste Kostüm? Und du kannst dir in einem sicher sein – deines gehört nicht dazu. Ausgenommen sind natürlich die ganzen Susannes und Annas und wie sie alle heißen. Lehrerlieblinge mit langen blonden Haaren, die nie in der Ecke stehen müssen und nie wegen fortgesetzten Redens während des Unterrichts in die Jungenreihe strafversetzt werden. Die gehen Karneval als Prinzessinnen, Elfen oder Bräute und sind noch schöner als sonst. Meine Schwester durfte auch mal als Braut gehen, aber sie sah trotzdem Scheiße aus. Ich durfte nie Braut oder Prinzessin sein, nicht mal Indianerin oder wenigstens Hexe.
Weil die Kostüme Geld kosten und die selbstgemachten wegen der vielen Arbeit noch viel wertvoller sind, mußte ich meine immer zwei Jahre hintereinander tragen. Also war ich zwar Jahre Fliegenpilz, zwei Jahre Katze und zwei Jahre Rotkäppchen. Das Rotkäppchenkostüm war besonders schrecklich; die Kappe paßte nicht richtig, und direkt unter meinem Kinn befand sich eine riesige rote Schleife, und ich konnte mein Gesicht gar nicht mehr richtig bewegen. In einem Jahr hatten meine Mama und ihre Schwägerin, meine Patentante Agathe, die Idee, mich und meine Kusine Petra als Katzen zu verkleiden. Das Schnittmuster dafür haben sie in der Brigitte gefunden. Ich wollte gar keine Katze sein, und dann war auch noch Kusine Petras Kostüm viel besser als meins, mit Tigermuster und Schnurrbarthaaren. Tante Agathe sagte, das käme, weil meine Mutter eine Berufstätige sei. Und wenn ich damals schon für eine berühmte Zeitung geschrieben hätte, so hätte ich es allen Tante Agathes der Welt um die Ohren geschlagen: Meine Mama ist die Beste von allen!
Mit zwölf oder dreizehn Jahren wurde ich schließlich zu meiner ersten elternunabhängigen Teenie-Party eingeladen. Es war eine Kostüm-Party, und aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich habe den Versuch unternommen, meine unfeminine Kinder- Karnevals-Geschichte zu überwinden. Ich habe mir von meinem Taschengeld schwarze Netzstrümpfe gekauft, Reizwäsche von meiner Mutter angezogen und mir allen Modeschmuck von ihr umgehängt, den sie mir erlaubt hat. Ich habe mich klasse geschminkt, meine Haare toupiert und mit Haarspray vollgesprüht. Als ich dann auf die Party kam, hatte kein einziges Mädchen ein Kostüm an, das auch nur irgendwie mit Weiblichkeit zu tun hatte. Es gab weder Prinzessinen noch Elfen oder Bräute. Nur eine alte Schreckschraube. Alle haben mich blöd angeguckt, kein Junge wollte mit mir tanzen, und ich glaube, es ist auf alle Fälle besser, erwachsen oder wenigstens Kind zu sein, auch wenn man dann Karneval als Fliegenpilz oder Rotkäppchen gehen muß. Michaela Schlagenwerth
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