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Schriften zu ZeitschriftenJunge-Jungs-Netzwerke

■ In Wien offeriert „Lesezimmer II“ Künstler- und Kunstpublikationen

Mit der Concept-art blühten Kunst- und KünstlerInnen-Magazine in den siebziger Jahren auf. Aus Mangel an Ausstellungen oder – weit programmatischer – an deren Stelle traten auf Text basierende Arbeiten in gedruckter, oft von den KünstlerInnen gestalteter Form. Sie waren Ausdruck kultureller Praxis, der meist Essays als theoretisches Rüstzeug beigefügt wurden.

Insbesondere den zwischen Nordamerika, der Bundesrepublik und England zirkulierenden Publikationen widmet sich die von Stuttgart und München nach Wien gewanderte Ausstellung „Lesezimmer II“, konzipiert von Ute Meta Bauer. Nach „Lesezimmer I“, wo vor allem aktuelle Schriften aus Deutschland und Paris präsentiert wurden, bilden nun zwischen Europa und USA agierende Figuren wie Kasper König oder Benjamin Buchloh den Kern des Folgeprojekts. Die beiden Kunstvermittler waren maßgeblich an der Gründung von October (neben Parachute die einzige noch existierende Zeitschrift der Ausstellung) beteiligt, sowie an Interfunktionen und Nova Scotia Series – Source Materials of the Contemporary Arts. Finanziert durch die Universität im ostkanadischen Hafenort Halifax, wurden in dieser Reihe frühzeitig Schriften, Konzeptionen und Abbildungen nunmehr prominenter KünstlerInnen wie Michael Asher, Dara Birnbaum, Dan Graham, Hans Haacke oder Yvonne Rainer gesammelt. Die mit Informationen katalogdick abgefüllten Reader demonstrieren, welche Bedeutung die Herausgeber den damals noch weitgehend unbekannten KünstlerInnen zuschrieben.

Zum einflußreichen „young boys network“ König/Buchloh zählten auch der Verlegerbruder und Buchhändler Walther König, Interfunktionen-Herausgeber Fritz Heubach oder Dan Graham als Spiritus rector. Kasper König war durch Übersiedlung nach Nordamerika seiner Einberufung zur Bundeswehr entgangen, so wie US-Amerikaner vor Vietnam nach Kanada flohen. Im Abseits des Kunstbetriebs gab die puritanische Region Nova Scotia mit ihrer rauhen Tundralandschaft und der durch Umstellung auf Containerverschiffung abgewickelten Hafenstadt Halifax (2.000 Arbeitslose) Gelegenheit zur Überprüfung New Yorker KünstlerInnen-Positionen.

Benjamin Buchloh beschreibt seine Herausgebertätigkeiten anhand von Konflikten, etwa der Erstveröffentlichung von Anselm Kiefers „Okkupations-Serie“ in Interfunktionen. Die Aufnahmen des Künstlers beim Hitlergruß auf ehemals deutsch besetztem Terrain provozierten heftige Widersprüche, die das Heft letztendlich in den (ökonomischen) Bankrott führten. Der belgische Künstler Marcel Broodthaers zog seine Unterstützung zurück. Unter den damals Entrüsteten fand sich auch Wulf Herzogenrath, was diesen jedoch nicht davon abhielt, den Maler später mit einer Retrospektive in der Nationalgalerie zu würdigen: Was als Fotoserie – konzeptuell eingerahmt – Anfang der achtziger Jahre zum Aufschrei führte, ist inzwischen etabliert: Kiefers Monumentalbilder fügen sich in die deutschnationale Identitätsfindung. Daß ausgerechnet dieses einst geschmähte Heft heute besonders gesucht ist, zeigt nicht nur, daß die Strategie der Provo-Kunst umgekippt ist, sondern zudem, wo sich der Mainstream verorten läßt.

Auf der Suche nach Auslegern eines aktivistischen Kunstbegriffs verlegte Buchloh unter anderem Martha Roslers Essays gegen Opferbild-Dokumentarfotografie. Mit Allan Sekulas Bildreportage über die Lebensbedingungen in Nova Scotia sollte erkundet werden, „wie Kulturpraxis lokal spezifisch sein konnte“, auch um dem einsetzenden Warencharakter konzeptueller Kunst entgegenzuwirken. Selbstkritisch merkt Buchloh an, mit den Standardwerken zu Michael Asher oder Lawrence Weiner an deren Institutionalisierung und Musealisierung mitgewirkt zu haben.

Die meisten der im Lesezimmer versammelten Publikationen, ob Art-Language oder The Fox der britisch-amerikanischen Art & Language-Clique oder das wie Life aufgemachte File Magazine des kanadischen Künstler- Trios General Idea, schaffen sich ihren eigenen Kontext von Beziehungen, Bezeichnungen und Selbstdarstellung. Lesetische und Kassettenrecorder für Audio- Tapes und Interviews unterstützen den Charakter einer Mediathek. Das Fehlen eines Kopierers mindert den Nutzen allerdings erheblich, man kann nichts anstreichen oder mitnehmen. Doch gerade die Verfügbarkeit von Information war ein zentrales Motiv der inzwischen Geschichte gewordenen Druckwerke. Ganz explizit befaßte sich Radical Software mit dem Aufbau eines Netzwerks für Videofilme lokaler Initiativen, wobei der Gebrauchswert und die Infrastruktur in den Vordergrund rückten: „In der ersten Ausgabe haben wir eine Xerox-Markierung etabliert, ein X im Kreis: X. Dies bedeutete: kopier's. Information ist Zugang, nicht Eigentum.“ Jochen Becker

„Lesezimmer II“ bis zum 7.3. im Depot Wien/Museumsquartier.

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