Von der DDR lernen heißt siegen lernen

Die Recyclingfirma Sero geht als viertes ostdeutsches Unternehmen an die Börse / Chancenreicheres Müllsammelkonzept als das Duale System / Expansion nach Westdeutschland geplant  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Aus Müll Geld machen ist derzeit eines der lukrativsten Geschäfte. 75 Milliarden Mark wurden 1993 mit der Entsorgung und der Verwertung von Müll umgesetzt. Das entspricht etwa 2,5 Prozent der gesamten in der Bundesrepublik erzielten Wertschöpfung. In den neuen Bundesländern erzielt ein altes DDR-Kombinat, seit 1991 in Privatbesitz, in dieser Sparte große Erfolge: die Sero Entsorgung AG. Sero steht für Sekundärrohstoffe.

Von dem Kuchen kann sich jetzt jeder, der ein paar Mark übrighat, ein paar Scheibchen kaufen – wenn er welche abbekommt. Ab morgen sind Sero-Aktien zu kaufen, und ab 14. März werden sie an der Berliner Börse gehandelt. Sero ist nach der Pleitefirma Sachsenmilch, der DDR-Fluggesellschaft Interflug (heute Berliner Spezialflug) und einer Leipziger Baufirma das vierte ostdeutsche Unternehmen, das an die Börse geht. Passenderweise übernimmt die Börsenplazierung eine Bank aus dem Osten, die Landesbank Sachsen. Die Aktien haben einen Nennwert von 5 Mark; Kaufinteressenten müssen aber 22,50 Mark pro Stück hinlegen. Die Sero AG will auf diese Weise 13,5 Millionen Mark einnehmen.

Gelernten DDR-Bürgern ist Sero noch wohlbekannt. Aus der Not, dem Rohstoffmangel der DDR, wurde eine Tugend gemacht: eine mustergültige Altstoffwirtschaft. An 17.000 Abgabestellen nahmen Angestellte gegen ein geringes Entgelt Hausmüll inklusive Speisereste und Mehrwegflaschen an – sortenrein getrennt, so daß die Altstoffe wirklich Wertstoffe waren. In den westdeutschen Containern landen dagegen oft über ein Drittel Fremdstoffe, was das gesammelte Papier- oder Glasmaterial für die verarbeitende Industrie nur eingeschränkt wiederverwertbar macht.

Mit der Wende schien das Aus für Sero gekommen. Blaue Container und gelbe Tonnen, gefüllt mit einem Müllgemisch mit Grünen Punkten drauf, eroberten Ostdeutschland. Der ehemalige Monopolist Sero wurde in regionale GmbHs zerlegt und von der Treuhand an Entsorgungsfirmen verkauft. Johannes und Dieter Löbbert, westdeutsche Unternehmer in Sachen Sonder- und Industriemüllentsorgung, erwarben 1991 mehrere Sero-Betriebe, vorwiegend in Brandenburg.

Dort entsorgen und verwerten sie nun vor allem Gewerbemüll. Ganz gegen den Trend setzt Sero aber auch weiterhin auf bemannte beziehungsweise befraute Annahmestellen für getrennt gesammelten Hausmüll, der finanziell vergütet wird. Das kann Sero sich leisten, denn die Firma wird ihrerseits für ihre außerordentlich sauber getrennten Sekundärrohstoffe von der verarbeitenden Industrie überdurchschnittlich bezahlt. Die Wiederverwertungsquoten des gesammelten Mülls liegen nach Sero-Angaben bei bis zu 98 Prozent. Davon kann das Duale System (DSD), das bei etwa der Hälfte dieses Werts liegt, nur träumen.

In 14 ostdeutschen Landkreisen ist Sero Vertragspartner des DSD oder Subunternehmer und erledigt für dieses Sammlung, Sortierung und Vertrieb des Grüne-Punkt- Mülls. Doch ansonsten kann Sero durchaus als Konkurrent des DSD gelten. „Wir sind überzeugt, daß das DSD einen Ansatz gewählt hat, der nicht so chancenreich wie unserer ist“, sagt Sero-Vorstand Thomas Wagner selbstbewußt.

Im Geschäftsjahr 1993/94 hat das Unternehmen eine Umsatzsteigerung von 72 Prozent auf 85,4 Millionen Mark hingelegt. Das Ergebnis vor Steuern kletterte von 4,1 auf 6,6 Millionen Mark. „Wir haben mit dem Wachstum erst begonnen“, meint Wagner.

Nächstes Ziel: Westdeutschland. In drei Jahren will Sero flächendeckend vertreten sein. In Essen hat die ostdeutsche Entsorgungsfirma bereits einen Ableger für Elektronikschrott-Recycling. Mit mehreren Kommunen stehe man in Verhandlungen, um dort die Müllentsorgung und -verwertung zu übernehmen. Nicht immer mit Erfolg. Die Stadt Düsseldorf schloß die Verhandlungen bereits ab. Die Ostdeutschen zogen den kürzeren.