■ Schirm & Chiffre
: Medien in Berlin: Computerflirt im Szeneambiente

Wir befinden uns im Szene- Club Friseur, es ist ungefähr 23 Uhr, DJ Mike legt entspannten Ambient Techno auf. Nichts gegen Ambient, aber dementsprechend spannungslos ist auch die Stimmung. Reichlich Pärchen sitzen heute beisammen. Normalerweise hätte ich das Gefühl, irgendwie überflüssig zu sein, zumal ich an diesem Abend ohne Begleitung unterwegs bin. Aber Gott sei Dank haben wir ja das Clubnetz, das ultimative Spielzeug für alleinstehende SzenekneipengängerInnen.

Es gibt Menschen, zu denen auch ich mich zähle, die sind von Natur aus so veranlagt, daß sie an keinem Bildschirm vorbeigehen können. Egal, ob es sich dabei um Videopoker, Fernsehen oder Computer handelt. Also gönne ich mir erst mal ein Gläschen Rotwein und schaue in die kleine Kammer, direkt gegenüber vom Eingang. Sie mißt höchstens ein mal zwei Meter und ist spärlich beleuchtet. Eine rote Funzel und der Monitor eines ziemlich altmodisch anmutenden Terminals, der noch aus der Zeit des Lochkartensystems stammen könnte, sind die einzigen Lichtquellen.

Der Kasten erinnert ehrlich gestanden eher an einen Hamsterkäfig als an ein funktionstüchtiges Gerät, doch der Eindruck täuscht. – Aha, sie reden schon wieder, denke ich, trete an den Monitor und fange an zu schreiben. „Hallo, hier ist der Friseur, wie geht's?“ – „Hallo Friseur, hier ist Madmax. Gut geht's, und wie selbst?“ – „Danke. Ich heiße übrigens Kirsten.“ – „Hei Kirsten, hier ist Susanne und ich stehe gerade im Boogaloo.“ – „Hallo Kirsten, ich bin Dionysos. Was ist denn so los im Friseur? Kann ich dir was zu trinken bringen lassen, magst du vielleicht einen Sekt?“ – „Ja klar.“ – „Ich auch, bitte ...“ – das kam aus dem Boogaloo. „Ich sag' meinem Barmann Bescheid. Tipp bitte einmal folgendes ein ...“

Plötzlich erschien ein riesiges Sektglas auf dem Monitor. Na fein, ich wollte schon immer mal virtuell betrunken werden. Vor allem aber machen die Computertalks süchtig. Natürlich verlaufen nicht alle Gespräche so fade wie dieses, aber ich werde einen Teufel tun und hier meine praktikabelsten Flirttechniken preisgeben. Doch die Vorteile der Netzkommunikation liegen auf der Hand: Man kann sich etwa auf ganz alberne Art interessant machen und einfach behaupten: „Ich bin eine gutgebaute Blondine mit großen Brüsten ...“ Wer jedoch wirklich einmal heiß flirtet, der sollte vor seiner Mitteilung einfach einen Code in Form von „/ msg *Name des Gesprächspartners*“ eintippen. Dann kann nur derjenige die Botschaft lesen, für den sie auch bestimmt ist. Das hoffe ich zumindest ...

Die Clubnetz-Idee stammt ursprünglich aus den Niederlanden, dort sind schon seit einigen Jahren alle Techno-Clubs untereinander vernetzt. Seit der letzten Love-Parade befinden sich auch vier Berliner Clubs am Netz: das Boogaloo, der Friseur, das WMF und der Tresor. Sechs weitere Lokalitäten sollen folgen. StubenhockerInnen können sich sogar von der Wohnzimmercouch aus in das Clubnetz einwählen, sofern sie über einen Computer und ein Modem verfügen. (Tel.: 693 40 51, Kennwort „irc“). Doch das empfehle ich eigentlich nicht. Denn morgen abend steigt im Tresor eine riesige Clubnetz-Party, auf der mindestens sechs Terminals angeschlossen sein sollen. Das bedeutet, daß man sich die Leute sogar vorher anschauen kann, bevor man virtuell herumflirtet. Kirsten Niemann

Clubnetz-Party im Tresor, morgen ab 22 Uhr, Leipziger Straße 129a, Mitte