■ Göttinger Verein berät bei ungewöhnlichen Geschäften: Steinpilzzucht und Kondomladen
Göttingen (taz) – Langzeitarbeitslose und Menschen in beruflichen Umbruchphasen sind die Klientel des Göttinger Vereins zur Erschließung neuer Beschäftigungsformen (VEBF). Neben traditioneller Beratung etwa im Bereich von Umschulung und Weiterbildung bieten die 15 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins ihren KundInnen Hilfestellung beim Aufbau eigener Betriebe an. Vereinsvorsitzender York Winkler rät dabei vor allem zu „klein- und kleinstgewerblichen Existenzgründungen“, die in der Regel nur einen geringen Kapitaleinsatz erforderten.
Ratsuchende, die sich für eine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit erwärmen können, werden vom VEBF in allen rechtlichen, finanziellen und fachlichen Fragen unterstützt. Die Betreuung reicht von der Klärung der persönlichen Interessen und Qualifikationen über Marktanalysen bis hin zur Entwicklung passender Geschäftsideen. Eine gute Möglichkeit, in bislang nicht genutzte wirtschaftliche Nischen vorzustoßen, sieht York Winkler in der „Kombination von Umweltschutz und Dienstleistung“.
Erst Ende vergangenen Jahres haben zwei Männer einen Tip der Vereinsberater befolgt und einen Altglasabholdienst eingerichtet. Das Geschäft brummt. „Unser Vorschlag“, freut sich Winkler, „ist genau in eine bestehende Marktlücke hineingestoßen.“ Wem der Schutz der Umwelt nicht so sehr am Herzen liegt, wird aber nicht gleich nach Hause geschickt. Denn der Verein hat auch andere Ideen auf Lager, darunter kuriose und exotisch anmutende Vorschläge. Eine früher dauerarbeitslose Schneiderin tingelt heute als Märchenerzählerin durch die Lande; ein ehemaliger Automechaniker züchtet erfolgreich Steinpilze.
Angeregt durch einen Vorschlag der Vereinsberater haben zwei Frauen eine Agentur gegründet, die in den Sommerferien Kinder auf Campingplätzen betreut und auf diese Weise die „oft genervten Eltern entlastet“. Ebenfalls auf Initiative des VEBF ist in Göttingen vor kurzem eine „Bücherklinik“ entstanden, ein Einmannbetrieb, der zerfledderte und vergilbte Literatur restauriert. Zu den erfolgreichsten vom Verein angeschobenen Produkten zählt der örtliche Kondomladen „Gummizelle“, in den die Leute sogar aus Hessen und Thüringen zum Einkaufen kommen.
Eine Existenzgründungsberatung beim VEBF ist allerdings nicht ganz billig: Die Gebühr bemißt sich nach Umfang und Dauer der in Anspruch genommenen Leistung. Eine Erfolgsgarantie gewährt der Verein allerdings nicht. Und wer mit seinem Unternehmen scheitert, erhält auch kein Geld zurück. Doch bislang hat VEBF mit seinen Unternehmenstips meist goldrichtig gelegen. Von den insgesamt zehn Firmen, die seit Anfang vergangenen Jahres auf Initiative des Vereins gegründet wurden, hat noch keine einzige Pleite gemacht. Reimar Paul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen