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■ Ein seltsamer Streik bei den Metallern in Franken: Die Streikenden sind bester Stimmung, "freundlich, aber entschlossen". Ihre Chefs sind zwar auch freundlich, aber unentschlossen:..."Das hier ist ein harter Arbeitskampf"

Ein seltsamer Streik bei den Metallern in Franken: Die Streikenden sind bester Stimmung, „freundlich, aber entschlossen“. Ihre Chefs sind zwar auch freundlich, aber unentschlossen: Sie scheinen sich von ihrem Verband nicht recht vertreten zu fühlen.

„Das hier ist ein harter Arbeitskampf“

Der Mann hat recht. „Wir sind“, hatte er vor dem Tor Süd der Nürnberger Siemens NMA an der Vogelweiher Straße gesagt, „die höflichen Metaller.“ Der Streik in Bayern ist von ganz eigener Art. Da fliegen nicht harte Arbeiterfäuste und markige Parolen, sondern statt dessen freundliche Worte und geduldige Belehrungen. Die Streikposten verteilen blaue und gelbe Passierscheine, zum einen an die Angestellten der bestreikten Firma, zum anderen an die auf dem schwer überwachbaren Gewerbegebiet verteilten mittelständischen Betriebe, die ihren Zugang ebenfalls hier haben. Am Montag zur Mittagspause kommen drei Herren in Trenchcoats die Auffahrt entlanggeschlendert, gesellen sich, leicht verlegen, zu den Streikenden. Die Chefs der kleinen und mittelständischen Unternehmen von nebenan erkundigen sich angelegentlich nach dem Stand des Streiks.

So richtig will das lockere Parlieren mit der bayerischen Speerspitze des bundesdeutschen Proletariats nicht gelingen, aber der gute Wille wird auch honoriert: „Es wird schon werden!“ Die jungen und alten Streikposten, die sich in der wechselnd sonnigen und wolkigen Kälte an den mit Kohle und Holz beheizten Öltonnen wärmen, sind fast alle Facharbeiter, selbstbewußt, gutgelaunt und fränkisch witzig. „Gib mir mal dein Designer-Jäckchen“, bittet die Ablösung und streift sich die rote Wurstpelle mit dem Aufdruck „Wir streiken!“ über, nicht ohne zu murmeln: „Na, wer hätte das gedacht?“ Was in der Firma gemacht wird? „Na, das sehen Sie doch! Gestreikt!“ Und wenn nicht? Dann produziert die Siemens NMA Industriemotoren.

Einen Kilometer weiter, hinter Bahndamm und Birkenwäldchen, stehen am hinteren Tor der Siemens Trafo-Union drei verwegene Gestalten und halten sich an ihren Kasten Bier. Der Betrieb, der in den letzten 20 Jahren auf ein Viertel seiner Belegschaft geschrumpft ist, bekomme inzwischen „fast alles aus dem Ausland“: „Nur das Dunkelbier kommt noch aus Nürnberg.“ Hergestellt werden Transformatoren aller Größen. An der Wand hängt ein Pappschild: „Das Sreiklokal und dessen BesucherInnen müssen sich ständig in einem Zustand befinden, daß Presse, Funk und Fernsehen einen positiven Eindruck erhalten!“

Mitten im Lärm schreibt Betriebsrat Konnie Unterlugauer sein kleines Streik-Tagebuch. Da steht am Anfang: „Scheiße war's, daß die Sache mit den Angestellten nicht geklappt hat, wie's geplant war.“ Aber dann hat, auch über das Wochenende, doch alles „ganz prima hingehauen“: „Weit und breit kein Streikbrecher in Sicht.“ Unterlugauer erklärt den moderaten bayerischen Arbeitskampf mit den Erfahrungen, die „hier 1954 gemacht worden sind und die heute noch nachwirken“. Verhärtete Fronten, brutale Polizeieinsätze, rabiate Rangeleien mit Streikbrechern hatten hinterher zu erbitterten Feindschaften in den Betrieben geführt. Sein Kollege Peter Thieme, damals zwölf Jahre alt, erinnert sich daran, daß da mit manchen Kollegen „noch 20 Jahre später“ nicht mehr geredet wurde, sie beim Frühstück geschnitten und bei der Arbeit boykottiert wurden: „Es gibt nichts Schlimmeres als eine gespaltene Belegschaft.“ Bei einigen Firmen seien dann nicht etwa die Streikführer, sondern um des Betriebsfriedens willen ehemalige Streikbrecher entlassen worden. Unterlugauer: „Daraus haben alle gelernt. Wir haben hier eine neue Streikkultur.“ Er hofft, nach dem Streik, auf einen „Schulterschluß“, in den auch leitende Angestellte und Chefs einbezogen werden.

Gerd Foth, Rentner und aktiver Sozialdemokrat, war 1954 dabei, „allerdings auf der anderen Seite“. Er war als 21jähriger Polizist mit fünf Kollegen in Zivil eingesetzt, „um für Ruhe und Ordnung zu sorgen und zu berichten“. Den Bericht lieferte er nie ab. Anderthalb Jahre später quittierte er den Dienst, weil er es leid war, Parksünder aufzuschreiben. Bis zum Ruhestand hat er über sieben Jahre den Werkschutz der Siemens Trafo geleitet.

Im Container am Haupttor bittet eine Angestellte um den Passierschein: „Wir dürfen ja nicht streiken. Noch nicht!“ Ein anderer fragt artig, ob der Kundendienst mit der Ersatz-Platine für den Computer am nächsten Tag passieren darf? Peter Thieme fragt nach der Dringlichkeit und erfährt: „Na ja, ganz ehrlich, es geht auch noch eine Weile so.“ Er sieht sich, als gerade jemand einen kugelrunden Napfkuchen vorbeibringt, genötigt, trotz vielgelobter Kooperation mit Firmenleitung, Polizei, Angestellten, Anwohnern darauf hinzuweisen, „daß das hier ein harter Arbeitskampf“ sei.

An der Wand hängt die Liste für Streikbrecher. Darauf klebt ein einsames Namenszettelchen. Der Mann aus dem Prüffeld, vermutet Thieme, habe sich einfach „nur ein bißchen dumm“ benommen. Sein Chef sagte zu, den Arbeitswilligen „darauf hinzuweisen“. Überhaupt sind die Chefs in Bayern, sonst gerade im Mittelstand die harten Einheizer in Tarifkonflikten, heuer ganz besonders samtpfötig. Die Mindelheimer Flugzeugbau-Firma Grob schickte alle 1.646 Beschäftigten in Sonderurlaub, die AEG- Hausgeräte bot, in Unkenntnis aller Arbeitskampf-Gepflogenheiten, flugs einen eigenen Haustarif an. Sie fürchtet, auf den gerade teuer entwickelten, neuen Geschirrspülmaschinen sitzenzubleiben. Vorstandsvorsitzender Carlhanns Damm schimpfte in Richtung des Arbeitgeber-Dachverbandes Gesamt-Metall gegen die „nicht lösungsorientierte Verhaltensweise der Arbeitgeberverbände“. (Siehe Seite 10!)

Beim Fahrradhersteller Hercules wärmte sich der Chef Schießer am Feuer vor den Toren. Er hatte dem einzigen Streikbrecher, der über den Zaun geklettert war, nahegelegt, er solle „sich schleichen“. Schießer fürchtet zwar um das Frühjahrsgeschäft, aber Streik sei schließlich „auch ein legales Mittel“. Bei ABB-Turbinen streiken die Angestellten unangefochten mit. Der Turbinenhersteller hat volle Auftragsbücher. Ein Werkmeister, der beim Leitern-Hersteller Zarges im oberbayerischen Peiting schon mitten in der Nacht über den Zaun krabbelte, mußte durch den, eisern schweigenden, Kordon der Kollegen zurück. Sein Chef schickte ihn in Sonderurlaub.

Die Verpflegungslage ist in vielen Betrieben auch einvernehmlich geregelt. Bei der Trafo-Union sind gleich am ersten Tag 1.000 Würstchen, ebenso viele Brötchen, kübelweise Suppen und warme Getränke ausgeteilt worden. Das Essen liefert der von der Streikleitung genehmigte „Notdienst“ in der Betriebskantine. Die riesigen Mengen heißen Tees und Kaffees fährt der Betriebselektriker mit einem Gabelstapler von innen heraus bis ans Werkstor. Bei Faun in Neunkirchen lud Geschäftsführer Tralau zum „Streik-Frühstück“. Streikposten und Angestellte in Burtenbach haben sich, berichtet die Lokalpresse, morgens erst einmal die Hand geschüttelt, ehe letztere den Betrieb betraten. Werksleiter Knoll überwachte an der Pforte persönlich, daß kein Lastwagen auf das Betriebsgelände fuhr und war da strenger als die Streikposten.

Am Rande des Streiks diskutieren die bayerischen Metaller bei Siemens NMA nicht nur über Lohn und Tarife. „Früher“, sagt ein junger Mann, und das hat er vom Vater und Großvater, „war das doch viel besser: Die Leute haben mehr zusammengehalten.“ Außerdem gab es günstige Einkaufsläden auf dem Firmengelände, Werkswohnungen, Solidarität und, noch wichtiger, soziale Geborgenheit und Lebensperspektiven im „eigenen“ Betrieb. Und heute: „Wir sind denen doch scheißegal, nur noch Manövriermasse.“ Schon deshalb, sagt er, „wird durchgehalten. Wir sind zwar freundlich, aber entschlossen.“ Heide Platen, Nürnberg

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